Ernüchternd
Eigentlich ein großer Freund eines historisch informierten, entschlackten Klangbildes romantischer Musik (siehe meine Rezension der kürzlich erschienenen Weber-Konzerte), hat mich die vorliegende, ungeduldig erwartete Neueinspielung der beiden Brahms-Konzerte mit András Schiff als dirigierendem Pianisten gleich in verschiedener Hinsicht enttäuscht und befremdet.
Zunächst einmal (ich habe mit dem meines Wissens noch nie auf altem Instrumentarium aufgenommenen 2. Konzert begonnen) habe ich überprüft, ob mit meiner HiFi-Anlage oder den Kopfhörern etwas nicht in Ordnung sei- so stumpf, glanzlos und basslastig war der erste Klageindruck, wie unter einem Schleier oder einer Glasglocke. Aber nein, alles war in bester Ordnung, wie die genau 30 Jahre alte Brendel-Abbado-Einspielung zeigte, die im Vergleich zu der Neuaufnahme schlank, brillant und bis ins kleinste Detail plastisch gestaltet klang. Der Blüthner-Flügel von 1859 ist sicherlich ein schönes Instrument, doch vom Tonmeister sehr stark nach vorn gezogen, so dass das insgesamt auf gewohnt hohem Niveau spielende Orchestra of the Age of Enlightenment aus dem Hintergrund agiert und leider oftmals nicht in allen Stimmen optimal durchhörbar ist. Die jeglicher Tiefenschärfe entbehrende matte Akustik des Londoner Aufnahmestudios trägt das Ihrige dazu bei. Und gerade eine besondere Durchsichtigkeit im Instrumentalsatz hatte ich mir hier eigentlich erwartet! Dazu kommt noch, dass Schiff, an dessen technischer Meisterschaft keinerlei Zweifel bestehen, einen extrem nüchternen, auf Agogik und Rubato weitgehend verzichtenden Interpretationsansatz verfolgt. Sehr schnell habe ich mich bei einer derart emotional unterkühlten Auffassung gelangweilt, ganz besonders im zweiten Satz, der in einer korrekten, aber m.E. nahezu keimfreien Sterilität erstarrt. Gerade in dem nur scheinbar leichtgewichtigen Finale bleibt die sanfte Melancholie und Doppelbödigkeit der komplexen Faktur völlig auf der Strecke. Der im Vergleich zum modernen Konzertflügel insgesamt naturgemäß leisere, hellere Klang des Blüthner kann hierfür keinerlei Rechtfertigung bieten. Ähnlich enttäuscht hat mich das erste Konzert. Unverständlich ist mir, warum Schiff zu Beginn nicht der originalen, sehr raschen Metronomangabe von Brahms gefolgt ist und dadurch die Chance vertan hat, eine vom Komponisten intendierte Spieldauer von deutlich unter 20 Minuten zu erreichen, was dem sehr kolossal wirkendem ersten Satz wahrscheinlich gutgetan hätte. Besonders schmerzlich habe ich kleine agogische Feinheiten und emotional und technisch gekonnt gestaltete und atmende Tempoübergänge vermisst, ohne die romantische Musik, egal auf welchen Instrumenten man sie spielt, nicht leben kann. Hier zeigt sich ganz klar, dass man bei den beiden Konzerten einen erfahrenen Dirigenten braucht, der das Geschehen auf gleicher Augenhöhe mit dem Solisten lenkt und steuert. Der Pianist als Dirigent: Was bei Mozart, Beethoven oder sogar noch Schostakowitsch im Glücksfall (z.B. bei Leonard Bernstein oder Jos van Immerseel) funktionieren kann, scheitert bei Brahms auf ganzer Linie an der Komplexität des kompositorischen Materials. Ein mir bekannter Profi-Hornist hat einmal generell Aufnahmen romantischer Orchestermusik auf Originalinstrumenten herablassend als „Schwachstrommusik“ bezeichnet, was mich einst sehr verärgert hat. Im vorliegenden Falle scheint dieses bissige Verdikt jedoch völlig gerechtfertigt und so kann ich leider nicht in den Chor der vielen begeisterten Rezensenten miteinstimmen. Fazit: Eine sicherlich hochambitionierte Einspielung, die aber meiner subjektiven Einschätzung nach sowohl vom Interpretationsansatz her als auch aufnahmetechnisch weder überzeugt, noch den zahlreichen großartigen Tondokumenten in „traditioneller“ Aufführungspraxis gleichwertig an die Seite gestellt werden kann.