Vom Colosseum zur Scheibenwelt
Was hat das Colosseum mit der Scheibenwelt zu tun? Abgesehen davon, dass der Rezensent sowohl die britische Fusionrockband als auch Terry Pratchetts Funny-Fantasy Romane mag, beruht die Schnittstelle in der Person von Dave Greenslade, der von 1969 bis 1971 Keyboarder von Colosseum war und Anfang der 1990er Jahre entschieden hat, die Musik zur Romanserie von Terry Pratchett zu komponieren.
Es verrät vielleicht einiges über den Bekanntheitsgrad der Musik „From the Discworld“, dass es mehr als 18 Jahre gedauert hat, bis jemand wie ich auf dieses Album aufmerksam geworden ist. Während des Wartens auf das Päckchen vom Schallplattenversandhandel meines Vertrauens überlegte ich schon mal, was für eine Art von Musik zur Scheibenwelt passen würde. Pratchett selbst hat allerdings erst nach dem Erscheinen dieser CD zwei Romane geschrieben, in denen Musik eine Rolle spielt. In „Mummenschanz“ (Original: „Maskerade“ (1995)) gehen die Hexen in die Oper, und in „Rollende Steine“ („Soul Music“ (1994)) spielen ein elfischer Barde namens Buddy (Holly), ein Zwerg und ein Troll in der „Band mit Steinen drin“ – es gibt wahrhaftig Leute, die dabei an die Beatles denken - und legen sich mit der Musikergilde an. Angesichts der vorwiegend vorindustriellen Agrargesellschaft der Scheibenwelt fiel mir spontan auch noch Asterix‘ leiernder Barde Troubadix ein, und so erschien mir eine Art mittelalterlicher Folk mit Holzinstrumenten und hin und wieder ein paar schrägen Blechbläsern naheliegend. Ich erwartete also ein paar leichte verschnörkelte Balladen im Stil von Jethro Tulls „Songs from the Wood“ oder der beschaulichen keltischen Instrumentalstücke von Black Sabbath. Das Ganze stellte ich mir in Kombination mit den eigens für den nordischen Ethnogroove fabrizierten Schlaginstrumenten der schwedischen Pagan-Folkband Hedningarna vor.
Nun, ich konnte nicht viel falscher liegen. Dave Greenslade wählte nämlich den elektronischen Weg. Er komponierte das Album im Alleingang, spielte fast alle Keyboards selbst ein, programmierte den Drumcomputer und ließ nur hier und da ein paar Gitarrenakkorde von Dave „Clem“ Clempson (Colosseum, Humble Pie …) einfließen. Die Flöte und die ergänzenden Keyboards im Stück „Small Gods“ spielten Musikerinnen namens Greenslade bzw. Pratchett, was dem Projekt eine gewisse familiäre Intimität verleiht.
Greenslades Kompositionen sind durchaus hörenswert. Die 14 Songs behandeln verschiedene Themen aus der Scheibenwelt, darunter ganze Romantitel, aber auch einzelne Personen oder Gegenstände, wie etwa die Truhe aus intelligentem Nussbaumholz, den TOD, die Pyramiden, die achte Farbe Oktarin, die unsichtbare Bibliothek und den Bibliothekar, die Hexen, die Kleinen Götter, wobei dem Rezensenten nicht immer leicht fällt, den Weg von der Inspiration zum Song nachzuvollziehen. Zwei Stücke, der Opener über die Weltenschildkröte A-Tuin und das abschließende „Holy Wood Dreams“, werden von einem Erzähler namens Tony Robinson eingeleitet. Zwei Songs, ein Gassenhauer über die Schatten der Großstadt Ankh Morpoth und eine lustige Weise über den Knauf am Ende des Zauberstabs, werden von Tim Whitnall gesungen. Der Rest sind Instrumentals. Mal ein bombastischer Blechbläsereinsatz, mal ein lustiges Pfeifen, dann wieder eine schöne Melodie auf einem Soloinstrument und ein symphonisches Keyboardgewitter nach dem anderen … Keine Frage, die Musik macht Spaß. Dabei bilden die Arrangements von „Octarine“, „The Luggage“, „Wyrd Sisters“ und „Pyramids“ die absoluten Höhepunkte des Albums.
Das vom Scheibenwelt-Buchcover-Zeichner Kirby illustrierte 12-seitige Booklet enthält neben den diskographischen Angaben auch drei Seiten mit Liner-Notes von Terry Pratchett selbst, in denen der Autor die Entstehungsgeschichte des Albums erläutert. Wir erfahren, wie Pratchett fast schon aufgegeben hatte, noch darauf zu hoffen, dass seine Bücher einen musikalischen Rahmen erhalten, als eines Tages Dave Greenslade bei ihm anrief.
Und genau hier setzt die Kritik an diesem Album an. Literaturkompositionen in der Rockmusik gibt es ja genug. Erwähnt seien hier nur Alan Parsons Welterfolg zu den Tales von Edgar Alan Poe, die „Terra Incognita“-Alben von Erik Norlanders Band Rockwell Six, die einer Zusammenarbeit mit dem Science-Fiction-Autor Kevin J. Anderson entsprangen, wobei dessen zugrundliegendes Buch „The Edge of the World“ getrennt dazu erworben werden muss, oder die beiden Alben von David Arkenstone, „Quest of the Dream Warrior“ (1995) und „Return of the Guardians“ (1996), zu denen die Autorin Mercedes Lackay explizit zwei eigene Fantasy-Stories geschrieben hat, die in den Booklets der CDs veröffentlicht wurden.
Aber warum hat eine weltweit so erfolgreiche Buchreihe wie die Scheibenwelt-Romane in musikalischer Hinsicht nicht mehr verdient als diesen egozentrischen Alleingang von Dave Greenslade? Selbst wenn gegen seine Kompositionen an sich nichts einzuwenden ist, lässt man mal den fast schon ärgerlichen Aspekt beiseite, dass sie in dieser Form einfach nicht zur Kultur und zum Alltag der Scheibenwelt passen, hätte aus diesem Material viel mehr gemacht werden müssen. Hatten wirklich kein Schlagzeuger und kein Bassist Interesse bekundet, diesen teilweise doch recht billig und künstlich wirkenden Drum-Computer zu ersetzen? Wie viel lebendiger würde das Album mit echten Blasinstrumenten klingen? Hatte Greenslade in einem Anflug von Selbstüberschätzung keine weiteren Musiker um Mitwirkung gebeten? Wo sind Leute wie Simon Philips (Drums), Billy Sheehan (Bass) oder Mel Collins (Flöte, Saxofon), wenn man sie mal braucht?
Am besten wäre es vielleicht, dieses Werk noch einmal von Grund auf neu einzuspielen, und zwar mit einer kompletten Besetzung erfahrener Musiker, meinetwegen auch von einer Brasssection und einem Streichorchester begleitet. Eine Vorbedingung wäre allerdings, dass alle beteiligten Interpreten sich in die Romane hineingelesen haben, damit das authentische Feeling einer vorindustriellen Scheibenwelt überzeugend vermittelt werden kann.
Aber lassen wir die Träumerei. Terry Pratchett hat Greenslades Musik anscheinend gefallen, und die Meinung des geehrten Autors ist wohl eines der wichtigsten Kriterien bei der Bewertung dieses Werkes. Und allein deswegen schon müsste diese CD als ein unentbehrliches Kleinod in die Sammlung eines jeden ernstzunehmenden Scheibenwelt-Fans gehören … vorausgesetzt, die begeisterten Leser der Romane erfahren, dass es die Musik „From the Discworld“ überhaupt gibt.
Nachtrag:
Ein halbes Jahr nach dieser Besprechung erscheint übrigens ein neues musikalisches Werk, an dem Terry Pratchett beteiligt ist: Auf dem Album „Wintersmith“ von Steeleye Span hat der Fantasy-Autor die Songtexte geschrieben. Schon alleine die Instrumente der Fokrockband passen vermutlich besser zu den Scheibenweltromanen ...