Historischer Romane der Extraklasse
Kaum zu glauben, daß dieses umfängliche, spannende, ausgereifte, schlüssige Werk von einem erst dreißigjährigen Autor stammt, dazu in der unglaublich kurzen Zeit von angeblich nur wenigen Monaten verfaßt. Wer so schreibt und die Dinge durchdenkt, gehört zu den hervorragendsten Talenten seines Fachs. Ein packendes Stück Geschichte, mit Leichtigkeit doch konzentriert erzählt - wo außer bei Puschkin findet sich das bei einem jungen Erzähler vergleichbar?
Micha Clarke ist ein Bildungsroman, der sich, würde er nicht so kritisch Religion und Geschichte hinterfragen, nebenher zum Abenteuer- und Jugendroman eignete, eine Aufarbeitung einer religiös begründeten Bürgerkriegssituation, der Monmouth-Rebellion von 1685, die zum Anlaß grandioser Erzählkunst aus der Sicht eines Beteiligten gereicht. Als 70jähriger berichtet er das Erlebte an langen Winterabenden seinen Enkeln. Es ist ein pazifistischer Roman, der eine Faszination für das Kriegshandwerk vermittelt. Wenn ich die Kampf- und Fechtszenen anderer Romane oder auch Dramen sehe, bei Shakespeare, Schiller, Kleist, Grillparzer, und die an verblüffenden Einzelbeobachtungen überreiche, ausgetüftelte Schilderung der Entscheidungsschlacht im längsten Kapitel des Micha Clarke vergleiche, dann wächst meine Hochachtung vor Conan Doyle noch mehr. Selten wurde die Tapferkeit von Soldaten in einer von vornherein als aussichtsschwach eingestuften Situation unter einem verräterischen Führer in einem hoffnungslos sinnentleerten Krieg ähnlich eindrucksvoll vermittelt, selten das Unrecht, die Korruption, die Brutalität, der Menschenhandel im Schlepptau einer entschiedenen Schlacht.
Zugegeben, Conan Doyle befriedigt auch hier wie in den meisten seiner Bücher das Verlangen seiner Leser nach einer harmonischen Welt, indem er, intelligent vorbereitet, sympathische Akteure aus verzwickten Situationen entkommen läßt. In schöner formaler Abrundung erscheinen Helfergestalten wieder, um den dringenden Gegendienst für erwiesene Freundlichkeiten zu erbringen oder gegenteils erforderliche Dienste zu erpressen. Wunderbare Gestalten prägen das Geschehen: ein wunderlicher alter Seebär, der alles in Bildern aus der Seefahrt ausdrückt, ein Dorfphilosoph, der auf seine einfache Art den Unfug religiöser Streitereien beweist, ein zweifelhafter Glücksritter, der sich als militärischer Führer erster Güte, Opportunist und trotzdem treuer Freund erweist, ein eitler Baron, der unglaublich tapfer sein Leben dreingibt, verrückte Prediger, Bilderstürmer, vernagelte Fanatiker, als Fanatiker getarnte Spione, abgeklärte Humanisten und als eine der vielen liebenswürdigen Dreingaben die tapfere Fünfjährige, die in Schlachtfeldnähe das verwaiste Haus der Großmutter mutig verteidigt und vor Stolz dahinschmilzt, als der gutmütige Titelheld ihr die Milch redlich bezahlt und die Kleine in Sicherheit trägt. Ähnlich anrührend ist nur noch der Abschied des alten Seebärs, der seine letzte Stunde gekommen sieht und in seiner Seemannssprache seine Sicht von Schuld und Sühne und sein von Verfehlungen doch nicht wirklich sehr belastetes Leben beschreibt. Auch hier wieder ein Hinweis auf den Unsinn des Krieges, in dem Menschen, die einander nicht hassen, töten, weil es die Pflicht so will.
Tausend Einzelheiten, grandios zusammengefügt zu einem geschlossenen Panorama einer vergangenen Zeit, zeitlos übertragbar in dHistorischer Romane der ExtraklasseHistorischer Romane der Extraklasseer Thematik und sogar - von der Entstehungszeit aus betrachtet - fast seherisch. Bringt doch auch in der heute aktuellen Situation die Hydra religiösen Fanatismus immer neue häßliche Köpfe hervor. Und Doyles Charakterisierung des königlichen Oberrichters George Jeffreys (1645 bis 89), der beauftragt wurde, die gefangenen Aufständischen abzuurteilen, ist in mehr als einer Hinsicht Vorwegnahme des berüchtigten Nazi-Volksgerichtspräsidenten Roland Freisler.
Selbst wenn Conan Doyle manche Einzelidee den historischen Quellen verdanken mag, die er intensiv vor der Niederschrift studierte, bleibt eine immense literarische Leistung, die wundern macht, warum die Literaturgeschichtsschreibung ihn bis heute stiefmütterlich behandelt. In der Reihe der für den Literaturnobelpreis ausgezeichneten Romane finden sich nur wenige von vergleichbarer Güte.