Neues aus wahlweise Absurdistan und Groteskistan.
Wie schon bei dem Berliner Tristan habe ich diese BR nur wegen einiger Sängerpersönlichkeiten gekauft: Schager, Pape und Kampe.
Und da bei der Oper – nach meinem Verständnis – die Sänger die zentrale Bedeutung haben, möchte ich sie zuerst besprechen.
Zuerst Andreas Schager in der Titelrolle. Er erweist sich hier erneut als wahrer Titelheld. Allein schon äußerlich, aber auch schauspielerisch kann er am Anfang den tumben Toren genauso verkörpern wie später den mitleidenden Suchenden und Gralskönig. Stimmlich ist er der beste Parsifal, der auf DVD/BR festgehalten worden ist und er kann sich auch stimmlich mit Vorgängern wie Windgassen etc. locker messen, denn er verfügt über eine genuine Heldentenor-Stimme mit strahlkräftiger Höhe, die ihm die nötige Jugendlichkeit verleiht, aber auch ermüdungsfreie Aufschwünge im 2. Und 3. Aufzug ermöglicht. Dazu besitzt er aber auch lyrische Qualitäten für die leisen Momente.
Rene Pape ist ein wohlstimmiger, aber langweiliger Gurnemanz. Er hatte das stimmliche Rüstzeug, zu einem der besten Wagner-Bassbaritone zu werden, mangelnde Gestaltungskraft hat dies verhindert. Nur die schwache Konkurrenz hat ihm einen prominenten Platz auf den Bühnen gesichert. Die langen Erzählpassagen des Gralsritters werden von ihm quasi „aufgesagt“, die notwendige differenzierte Vortragskunst fehlt. Hier ist dem Regisseur aber ein bezeichnendes „Eigentor“ geglückt: Wenn Gurnemanz oberlehrerhaft einen Lichtbildervortrag zur Gral-Vorgeschichte hält, so schläft nicht nur mutmaßlich die Knappenschaft, sondern getrost auch der Zuschauer. So geht es in den Gralsszenen weiter: Gurnemanz wird nie wütend, aufbrausend oder irgendwie emotional. Er steht oder sitzt herum und singt vor sich hin. Langweiliger geht es kaum. Ich will das mal wohlmeinend ihm gegenüber dem Regieansatz zuschreiben. Warum er am Schluss tut, was dem Regisseur in einer durchgeknallten Schnapslaune eingefallen sein mag, bleibt nicht nur deswegen unerfindlich.
Anja Kampe schlägt sich tapfer trotz Indisposition und kann im Rahmen der Inszenierung gesanglich überzeugen. Mit wärmerer Stimme und mehr Fülle kann sie Kolleginnen wie Waltraut Meier auf hintere Plätze verdrängen. Wolfgang Koch singt einen durchaus eindrucksvollen Amfortas, den letzten Leidensausdruck in Stimme oder Schauspiel vermisse ich aber. Dazu trägt er zu oft seine Wunde quasi unbeteiligt vor sich her.
Vom bösen Zauberer Klingsor ist optisch noch gesanglich etwas übriggeblieben.
Barenboim dirigiert brav-sachlich, manchmal klangschön. „Stimmung“ kommt natürlich nicht auf, wozu auch?
Zuletzt zur Inszenierung. Wie ich schon bei anderen Inszenierungen angemerkt habe, ist für mich die Stimmigkeit der Inszenierung in Bezug zur Handlung und zum Inhalt des Gesungenen essenziell, denn wenn von etwas Gesungen wird, das nicht dem Bühnengeschehen entspricht, so ist es entweder absurd (vgl. Duden: gesundem Menschenverstand völlig fern) oder grotesk (durch eine starke Übersteigerung oder Verzerrung absonderlich übertrieben, lächerlich wirkend).
Mein zweites Axiom ist die Verständnisfähigkeit der Inszenierung aus sich selbst heraus. Der Zuschauer muss aus Handlung und Gesang die Oper verstehen können. Wie er sie für sich deuten will, ist seine persönliche Leistung und darf nicht vom Regisseur aufgezwungen werden.
Ein drittes Axiom: Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass sich im Libretto/in den Regieanweisungen der Partitur etc. der Wunsch des Komponisten/Librettisten widerspiegelt, wie er sein Werk aufgeführt wissen wollte. Er sollte nicht ohne zwingende Gründe missachtet werden. Es ist nämlich das Werk des Komponisten und nicht des Regisseurs. Der Regisseur ist nämlich der Diener des Komponisten und nicht der Meister oder Schöpfer des Werkes.
Und genau gegen all das verstößt die vorliegende Inszenierung des Regisseurs Tcherniakov.
Warum der erste Aufzug schon in dem Saal der Gralsburg spielt und man deswegen Absurditäten wie das Bad des Königs im See, den Schwanenschuss etc. nicht nachvollziehbar „ein- bzw. eher ausbauen“ muss, zeigt, dass T. hier seine persönlichen Ideen dem Werk aufzwingt und alles, was dazu nicht passt, als lästige „Randaspekte“ vernachlässigt. Grotesk wird es auch zur Genüge, z. B. wenn im 1. Aufzug Titurel locker in den Sarg ein – und aussteigt. Dass aus der schwärenden Wunde Amfortas` der Gral zum Trank gefüllt wird ist absurd und grotesk. Wenn man den Gralsmythos völlig pervertieren möchte, dann schreibe man doch sein eigenes Drama dazu!
So geht es weiter: Klingsor ist eine „spießbürgerliche“ Figur, wie nur ein ach so „unspießiger“ Künstler sie sich vorstellt – oh wie modern und aufgeklärt! – aber in Wirklichkeit entlarvt sie den Regisseur als überheblichen „Spießkünstler“! Die Blumenmädchen als „Verführerinnen“ zeigen selbstverständlich keine „verführerischen Qualitäten“, haben aber Blumenmuster auf ihrer Kleidung – wie platt! Kundry kann auch nie eine „Gefahr“ für Parsifal werden – wie sie Amfortas verführte, kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen (sollte der Griff zur Brust so verführerisch sein?). Da der dritte Aufzug auch wieder im Saal der Gralsburg spielt, erschließt sich die ganze Natursymbolik nicht (Karfreitagszauber) und wie Kundry dorthin kam – warum nach Sinn suchen, wo die Logik sich schon längst verabschiedet hat?! .
Was in dieser „trashigen“ sinnbefreit-sinnlosen Umgebung so mystische Gegenstände wie ein Gral oder ein heiliger Speer überhaupt bedeuten sollen oder was sie dort zu suchen haben, wird ein ewiges Rätsel bleiben, mir und anderen.
Merkwürdig – will die moderne Regie nicht alle Mystik, alles Zauberhafte und Illusionäre von der Bühne verbannen und erschafft doch ihre eigenen chiffrenhaften "Mysterie" – „Scheinheiligkeiten“ der besonderen Art, die nur etwas für die „Eingeweihten“ des Regietheaters sind und sich dem „normalen“ Zuschauer nicht erschließen. „(Pseudo-) Christliche Mittelalter-Mystik“ ist also verpönt (Preisfrage: Wer ist der „Erlöser“ in dieser Rumpelkammer?), obwohl kulturell-historisch symbolisch-metaphorisch jedem halbwegs Gebildeten erschließbar, „Regietheater-Mystik“ ist aber wohl "besser", da absurd und grotesk im Werkkontext???
Ganz zu schweigen von den zahllosen kleinen Regie-Absurditäten, die in Widerspruch zu Musik, Text und Handlung stehen (vgl. Schlussszene). Genug davon. Dass T. für diese Regie wohl auch noch Geld bekommen hat, spricht für ihn und seinen Geschäftssinn und Bände über den Verstand der Opernverantwortlichen.
Fazit: Ein brav-unmystisch dirigierter Parsifal, der mit einem herausragenden Andreas Schager, einer sehr guten Anja Kampe und einem guten Wolfgang Koch punkten kann. Der schön singende, aber langweilige Pape ist für die diskographische Vollständigkeit hinnehmbar.
Ein „Bühnenweihfestspiel“ ist natürlich nicht beabsichtigt – warum hat Wagner dann eines geschrieben und komponiert?
Am Ende sehen wir den Vorhang zu und alle Fragen offen – wenn das die intendierte "Spitzenregieleistung" sein soll, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Wie geistlos - aber vielleicht kommt ja noch ein "Erlöser"?