Zeugnis eines vergessenen Großen
"Beispielhaft" ist diese Aufzeichnung in zweierlei Hinsicht und somit auch dokumentarisch wertvoll:
1. Für die Absurditäten des Schallplattenbetriebes, die, beginnend seit den 60er Jahren, ab den 80ern ihren traurigen Höhepunkt ansteuerten. Während "Die drei Tenöre" sich auf zahllosen Operngesamteinspielungen und sonstigen Aufnahmen bis zum Abwinken verewigen durften (und dabei meist jenseits ihrer stimmfachlichen und darstellerischen Möglichkeiten bewegten), blieben diese Gelegenheiten einigen anderen - mindestens gleichwertigen - Kollegen verwehrt.
a) Carreras: In den 70er Jahren ein hoffnungsvoller lyrischer Tenor, hatte er Anfang der 80er sich schon übernommen und seinen stimmlichen Zenit überschritten, wurde dann durch seine tragische Erkrankung aus der Bahn geworfen und durfte nach deren Bewältigung noch einige Jahre lang aus Mitleid mit ruinierter Stimme Aufnahmen machen.
b) Pavarotti: In den 60ern ein schönstimmiger, lyrischer Tenor, der mit Aufnahmen im klassischen Belcanto-Repertoire sich große Meriten erwarb, war aber seit Anfang der 80er deutlich über seinen Zenit hinaus, "blockierte" mit seiner Bindung an die Decca aber alle Opernaufnahmen dieses Labels im italienischen Bereich. Tragischer Höhe- eigentlich besser: Tiefpunkt: Der Otello unter Solti 1991 und die anschließende Verwertung neuer und alter Aufnahmen auf Alben für die Resterampe. Singdarstellerisch und schauspielerisch schon immer defizitär, zelebrierte er seit den 80er Jahren das qualvolle Hervorbringen hoher Töne und seinen Körperumfang.
c) Domingo: Seit Ende der 60er Jahre ein hoffnungsvoller lyrischer Tenor, überforderte er mit dramatischen Partien ab Ende der 70er seine Stimme, die immer dunkler, bronzeartiger und strähnig-verschattet klang. In einer Meisterleistung der PR erlebte er trotzdem1990 mit den gleichsam stimmlich angeschlagenen oder ruinierten Tenören Carreras und Pavarotti in den Caracalla-Thermen einen "Ritterschlag" zum Superstar und durfte weiterhin ungestört immer weitere Aufnahmen machen - weit jenseits von Gut und Böse: "Tiefpunkt" der Fehlbesetzungen und Selbstüberschätzungen: der Tristan 2005.
Das Tragische an diesen drei Beispielen: 20 Jahre lang /Von Ende der 70er bis weit in die 90er Jahre) waren die drei großen Labels EMI, Decca und DG blockiert und blockierten alle anderen Tenöre im italienisch-französischen Fach und einer der Leidtragenden, denen dadurch eine "Schallplattenkarriere" versagt wurde, war Giuseppe Giacomini, der stimmlich und darstellerisch in den 70er Jahren mindestens gleichwertig und ab den 80er Jahren sogar klar überlegen war.
2. "Beispielhaft" ist diese Aufnahme aber auch, weil sie glücklicherweise doch noch eine wichtige Sängerpersönlichkeit jenseits der großen Labels und "Starnamen" inwichtigen Partien dokumentiert. Wieder einmal ist es höchst verdienstvoll vom Label Bongiovanni, diesem Sänger ein diskographisches Denkmal gesetzt zu haben. Seien Sie herzlich an dieser Stelle dafür bedankt!
Giacomini ist noch in guter bis sehr guter Verfassung: der letzte italienische tenore robusto mit gut fokussierter Stimme, metallischer Attacke und durchschlagskräftiger Höhe. Durchaus stimmschön phrasiert er sehr gut und gestaltet sehr differenziert die Partien und das mit glasklarer Diktion. Mit dieser Leistung deklassiert er den fast gleichaltrigen Domingo, der in den 80er und 90er Jahren zahllose Aufnahmen im italienischen Fach machen konnte, aber schon ab den 80er Jahren gaumig-verschattet klang und mit zu viel Brustdruck sang.
Zwar war Giacomini bei der Aufnahme schon Mitte 50 und die Stimme hat ihren Zenit auch bereits überschritten, aber wie er differenziert singt und die einzelnen Partien singdarstellerisch ausgestaltet ist beispielhaft und z B. die Arien des Otellos sind nur als "großartig" zu bezeichnen. Verdi-Gesang vom Feinsten! Jede Phrase wird ausgeformt, müheloses Piano, Squillo, "Träne in der Stimme, kurzum alles was ein guter Sänger braucht, um die Figur zum Leben zu erwecken.
Wer Giacomini in seiner Glanzpartie des Otello ganz hören möchte, sollte sich auf die Suche nach der Aufnahme von 1991 mit M. Price als Desdemona und Lombard als Dirigent machen - es lohnt sich!