Standardwerk
Henning Ottmann, emeritierter Professor für politische Philosophie, legt mit diesem auf neun Bände angelegten Opus Magnus eine so genannte Große Erzählung vor, die zugleich auch Enzyklopädie ist. So erlaubt es jeder Teilband, sich schnell und zuverlässig, zu einem umgrenzten Teilgebiet zu informieren und über das jeweils äußerst umfassende Literaturverzeichnis weitergehend, vertiefend weiter zu arbeiten. Wirklich neue Forschungserkenntnisse sind nicht zu erwarten, dafür aber ein fundierter Einblick in den zum Zeitpunkt der Drucklegung aktuellen Forschungsstand. Kleine Kurzportraits am jeweiligen Kapitelende fassen die wichtigsten Daten zu den behandelten Personen prägnant zusammen. Dabei lässt Ottmann nie eine erfrischende kritische Distanz vermissen, auch zu den Philosophen, zu denen er eine engere Affinität hat als zu anderen (Platon, Seneca, Nietzsche, Hegel etwa).
Der Abschluss dieser insgesamt großartigen Reihe hinterlässt ein eher zwiespältiges Bild. Ottmann behandelt zwar die wichtigsten, einflussreichsten Entwürfe des 20. Jahrhunderts: Heidegger, Sartre, die kritische Frankfurter Schule (Adorno, Marcuse), Habermas und Popper. Auch Rawls wird gewürdigt, man möchte sagen: streiflichtartig kurz. Endlich auch Denker so genannten Postmoderne: Foucault, Lyotard um in einem Epilog vier eigene Entwürfe vorzustellen. Aber Ottmann frönt auch hier wieder einem seiner Steckenpferde: Utopien oder Dystopien und seien sie noch so inhaltlich dünn, ja in diesem Zusammenhang nebensächlich, weil doch eher dem literarischen Genre zuzuordnen (Doris Lessing, Margaret Atwood z.B.). Nein, nicht alles was in den Rang einer U- (Dys-) topie erhoben wird, findet sich dort zurecht. Bei aller Wertschätzung, dies gilt auch für Camus. Auch erscheint es übertrieben, dem Feminismus den Rang einer politischen Theorie zuzubilligen. Ohne Zweifel hat der Feminismus viel geleistet gesellschaftspolitisch, aber im Verhältnis werden politische Entwürfe sui generis doch arg stiefmütterlich behandelt. Und so stellt sich die Frage in der Gesamtbewertung des Bandes vier, ob die beiden Teilbände nicht ein wenig zu sehr der Verlagspolitik und dem Marketing geschuldet sind. Denn in beiden Teilbänden findet sich am Ende so viel Streichmaterial, dass ein kompakter Band besser gewesen wäre. So ist hier ein kompulsiv-enzyklopädisches Werk entstanden, das aussieht wie der Versuch, alles, aber auch buchstäblich alles, was irgendwie „politisch“ und „Theorie“ genannt werden kann, aufzunehmen. Weniger und die Konzentration auf die wirklich zentralen Entwürfe des 20. Jahrhunderts wäre mutig gewesen. So handelt es sich leider um eine verwässerte Version, die der Qualität der Gesamtreihe nicht gerecht wird. Gerne hätte man auch mehr erfahren über die vier eigenen Entwürfe Ottmanns am Schluss: Der Weltstaat, Die Weltrepublik, cosmopolitan governance und global governance. Dafür verbleiben ganze 21 Seiten.
Dennoch sei die Reihe insgesamt jedem, auch Belesenen, ans Herz gelegt.