Ein Ökonomieessay als Verbal-Viagra für Feuilletonisten
"Und das ist der opake und wilde Überraschungsraum, in den sich unsere Gesellschaften hineinfinanziert haben". "Das" meint dabei eine vorhergehend als dernier cri bzw. neuste Kostümierung des altehrwürdigen Hegelschen Weltgeistes ausgemachte "arkanhaft gewordene Ungewissheit", "die Entscheidungen fällt", "die in ihrer Ungebundenheit, in ihrer Gesetzlosigkeit schicksalhaft werden." Und das ist der Schlußsatz von Joseph Vogls (von einer bekannten Marxsentenz titelinspiriert) "Das Gespenst des Kapitals", S. 178, und wohl auch der Beste, ein absoluter Höhepunkt.
Nicht, weil der Satz nun allzu viel besagt. Er sagt nämlich eigentlich gar nichts. Denn was da mit "arkanhaftem" Verbalschlonz tiefsinngemunkelt wird, hätte Franz Beckenbauer, was die ontologische "Aussageessenz" betrifft, ganz einfach hingekriegt. Etwa so: "Da geht`s vielleicht wild zu im Finanzkapitalismus, wie im Voglhäusl, blickt ma ja gleich goar nix mehr, sakrament !" (um dann natürlich sogleich entschuldigend zu seinem derzeitigen Liebslingsthema, dem "Überraschaungsraum", in den sich sein Vereins- und Seilschaftskumpel Uli Hoeneß, die Mutter Theresa von der Säbener Straße, "hineinfinanziert" hat, überzuleiten). Mit diesen eher schlichten, aber pfeilgrad bodenständig noch in dieser Welt waltenden Worten wäre zugleich auch ein Quidproquo vermieden. Namentlich das, Nicht-Wissen der kapitalökonomischen Akteure darüber, was ihr eigenes geldgierig-anarchisches DenkHandeln als nächstes an katastrophischen "Verwerfungen" sozialer und natürlicher Art hervorbingt, zu einem geschichtsträchtig waltenden Subjekt "Ungewissheit", das "Entscheidungen fällt", zu stilisieren.
Nein, der finale Satz ist so bedeutend, weil es damit der auf den vorherigen 177 Seiten des sich Essay nennenden Assoziations- und Schwafelbandwurms sehr geplagte Leser endlich hinter sich hat und eine drückende Last von ihm abfällt. Die Last, reihenweise Als-Ob-Gedanken wenigstens einen noch nur irgend verstehbaren Rest-Sinn abzugewinnen. Geht aber nicht. Was soll, eine der Wenn-dann-während nämlich-stets heimgesucht-Lieblingsstellen des Rezensenten:
"Wenn man Krisen allgemein als Verwirrung von Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten oder mit Blumenberg als "Erlebbarkeiten des Zeitenzerfalls" bergreifen wollte (und was ist, wenn nicht, weil das ein Galimathias ist ?, R.), so wird die krisenhafte Dynamik der Finanzökonomie durch eine Verwerfung unterschiedlicher Zeitordnungen strukturiert. Während nämlich (nach dem vorherigen wenn - dann unbedingt logisch !, R.) Finanzmärkte nach irdischer Unaufhörlichkeit streben, während ihre Subjekte sich über ihre eigene Endlichkeit hinwegträumen und das Kapital selbst danach verlangt, die obskuren Kräfte der Zeit zu besiegen und seine Hindernisse auf dem Weg in eine schrankenlose Zukunft zu beseitigen, wird dieses chrematistische Streben stets durch bemessene Dauern, fixe Termine, fällige Zahlungen, also durch die Umstände endlicher historischer Zeiträume heimgesucht." (S. 173)
denn da noch - mit oder ohne Blumenberg und Aristoteles- ins irgend durchdacht Denkbare herüber zu retten sein ?... Eben. Bei Marx hieß das wenigstens noch trocken und als Gedanke auf den kategorialen Prüfstand nehmbar: das Kapital (seine ineinander verschränkten Fraktionen" als Makro-Einheit verstanden) produziert gerade mit den Mitteln seiner Akkumulation seine Schranken, welcher systemimmanente" Widerspruch sich wiederkehrend und auf eskalierender Stufenleiter in der Krise, regelmäßig eingeleitet als Finanzkrise, manifestiert. Ist doch (wenngleich einiges Kritisches dazu zu sagen wäre) wenigstens ein klares Wort. Gerade das aber ist nicht des wissenschaftlichen Literaten Vogls Welt. Er will das Kapital - dichten, mit metaphorischen Girlanden schmücken und in Allegorien hüllen. So - unter dem "literarischen Zusammenschnitt von kanonischen Formeln älterer und neuerer Kapitalismusananlysen" (S. 14) will auch der hauptberifliche Literaturwissenschaftler Vogl es nicht halten, was schmerzlich zu Lasten des klar Gedachten geht - wird "das Kapital" zum geheimnisvoll herumwesenden Gespenst stilisiert, statt als Fetisch einer mechanisch-stumpfen sozialen Gewohnheit, mit allerdings einigen "Überraschungen" in ihrem makroblind herumfuhrwerkenden Gefolge, ent-täuscht. Seinen Text kann man nicht nüchtern denken. Den muß man mit literarischem Hochgefühl beten und singen. So - und nur so - festlich gestimmt und mit Poesie am klar Gedachten zielsicher vorbei ist man denn bereit, darüber hinwegzusehen, daß sich das seitenlange überzuckert-nervös-konfuse Gerede (was macht Vogl nur aus Minsky, man lese dazu im Original oder bei Keen, für einen enthusiastisch angerührten Brei !) von "zukünftigen Zukünften", "Zukunft und deren Zukünften", "künftigen Gegenwarten","gegenwärtigen Zukünften" in allerlei "Räumen" und "Formaten", auf den Punkt gebracht, nur auf elend platte Kalendersprüche reduziert: "Es kommt immer anders, als man denkt." (S. 170) Wieder mit Franz Beckenbauer: "Jo da schaug her, wer hätt jetzad nachad dös denkt ?" Ein Buch, so wirksam wie ein Crash - in der Tat, ein Crash, wenn nicht ein Super-GAU, jeglich kritisch zu den in Frage stehenden Sachverhalten Gedachten. Zwei, drei nette Formulierungen - ja, die gibt es tatsächlich auch - retten da gar nichts.
Was also Sloterdijk in Philosophy ist Vogl in Economics. Daß an sachlicher Ökonomiekritik nichts in seinem Essay neu ist, ist sicher kein Mangel. Es spricht nichts dagegen, Bekanntes neu zu durchdenken, es zu systematisieren, zu pointieren, zusammenzufassen usw.. Wohl aber, daß durch sein "poetisches Format" Bekanntes weit unter dem Niveau des state of the debate expliziert wird. Vogl erklärt nicht wirklich sorgfältig, welchen absurden Unsinn die herrschende ökonomische Denkform z.B. in der Gleichsgewichtstheorie GLAUBT. Er kritisiert auch nicht den Wahnsinn, mit solchem Zeugs gedankenmunitioniert wirtschafts- und sozialpolitisch auf die Welt loszugehen. "Geistreich" zu sein ist ihm viel wichtiger als kategorial sauber zu explizieren. Und ein an den mittelschmalen Text anschließender vierzigseitiger Anmerkungs- und Litereraturapparat kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Umgang mit ganz vielen Büchern noch keineswegs bedeutet, das darin Gesagte wirklich verstanden zu haben. Für die Feuilletonschreiber von FAZ bis SZ wirkte Vogls "kapitalistische Oikodizee", die er mit seinem Essay weniger kritisiert denn zelebriert, natürlich elektrisierend. Ein zungenschnalzend-lobhudelnder Superlativ jagte den anderen und ein einziger klebriger Brei verschmiert das Back-Cover: "frontaler Angriff auf die dorischen Säulen der Wirtschaftswissenschaften" (ZEIT), "So pointiert, faktengesättigt und geistesgeschichtlich inspiriert kommt keine zweite Analyse unseres Wirtschaftssystems daher" (FAZ). Es gruselt einen. Ja, da haben sie sich allesamt in ihrer ureigenen Ambition wiedererkannt: genau so was verschwiemelt-schwammiges möchten sie auch schreiben. Weil das genau ihre Art des "Denkens" ist. In dem, was sie da loben, loben sie also letztlich nur ihre eigene Vortrefflichkeit. Wie grundehrlich dagegen ist die nur zu verständliche Verärgerung eines armen Studikers hier, dem Vogls "Format" als Pflichtlektüre für seine Arbit verdonnert worden war. Nachhaltiger als mit solchen exquisiten literarischen "Einfällen" kann die - allzeit und unerbittlich fällige - Kritik der Politischen Ökonomie nicht desavouiert werden. Denn solches derridasches Zeugs ersetzt nur eine gedankliche Wirrnis - die herrschende ökonomische Denkform ist eine einzige kopfverderbende Katastrophe - durch eine andere.