Nicht auskomponierte Melodien
Louis Spohr hat eine ganze Menge Violinkonzerte geschrieben, und hier haben wir sie alle versammelt, eingespielt von Ulf Hoelscher und dem Rundfunk Sinfonie Orchester Berlin. Was an den Aufnahmen auffällt, ist der manchmal breiige Ton, der es einem unmöglich macht, einer Melodielinie zu folgen. Irgendwann „wurschteln“ Orchester und Solist sich wieder zurecht, und man kann dem Ganzen wieder folgen. Auch sind die Aufnahmen recht leise abgemischt, man muss die Anlage oft ziemlich aufdrehen.
Einige Melodien sind interessant, wenngleich von all den CDs nur wenig zurückbleibt. Ein Auf- und Abschwellen allenthalben, ein Hoch und ein Tief, ein Laut und ein Leise. Was bleibt am Ende? Nach vielfachem Anhören? Nichts. Leider. Denn die Melodien sind oft nicht auskomponiert. Louis Spohr verwendet zu wenig Takte auf eine gute Idee, wechselt vom Einen zum Anderen, ohne erkennbaren Grund. Wo bei Beethoven oder Haydn innerhalb einer Idee verweilt wird, diese ausgesponnen, variiert, verarbeitet wird, verwirft Spohr den ganzen Gedanken und wendet sich etwas völlig anderem zu. So kommen keine in sich stimmigen Musikstücke zustande.
Kein Wunder, dass man ihn im Laufe der Jahre wieder „vergessen“ hat – von seiner Musik bleibt eben nur ganz wenig zurück, nach einer Weile Abstand gar nichts mehr. Während Beethoven eine einfache Melodie, die ein Kinderlied sein könnte, so genial verarbeitet, dass eine Symphonie mit Chor daraus wurde, die heute jeder (!) kennt, schafft es Spohr nicht einmal, eine acht- oder sechzehntaktige Melodie durchgehend zu komponieren. Hörprobe: Konzert Nr. 2, Satz Nr. 3. Verfolgt bitte die Melodie – und achtet darauf, wie sie plötzlich abbricht, während sie eigentlich weitergehen sollte. Ein Beispiel fehlender Balance. Das unterscheidet einen wirklichen Meister (Beethoven, Mozart, Haydn, Bach) von Louis Spohr. Es war vielleicht seine Eigenart, vielleicht sein tiefstes inneres Ich – aber dann war es eben nur ungenügend und konnte sich nicht neben der Perfektion anderer behaupten.
Fazit: Nicht auskomponierte Melodien rauben einem die Hör-Freude und das Vergnügen. Klang manchmal ziemlich breiig, Durchhörbarkeit nicht immer gegeben.
Vielleicht müssen noch andere ran. Andere Orchester, andere Solisten, um diesen Konzerten noch das Letzte abzugewinnen. Allerdings ist es eine große Chance für einen Violinisten gewesen, diese Werke in einer Gesamtedition einzuspielen, und damit sage ich Dank an CPO, Ulf Hoelscher, der sich hier wirklich ins Zeug gelegt hat, und dem Rundfunk-Sinfonie Orchester.
Dennoch … wegen der, wie ich meine, berechtigten Kritikpunkte (Klang, Lautstärke und Kompositionsschwächen) 3 Sterne Abzug, und weil es eine Gesamtausgabe ist, 1 Stern wieder dazu. Macht am Ende 3 Sterne.