Einzigartig,...
...aber nicht artig, sondern frisch und anregend. Nun darf man von Michi Gaigg und ihrem L'Orfeo Barockorchester keine "gegen den Strich gebürsteten" Interpretationen erwarten und schon gar nicht HiP-Allüren, in welcher Form auch immer. Michi Gaigg ist eine zu ernst zu nehmende Dirigentin, als dass man ihr moderne Effekthascherei unterstellen dürfte. Auch das Aufstellen neuer Geschwindigkeitrekorde in virtuoser Manier ist ihr fremd. Entstanden ist mit dieser Schubert-Box eine einzigartige Interpretation von großer Feinfühligkeit und starkem Gestaltungswillen. Als allbekanntes Beispiel sei die Einleitung zur "Unvollendeten" (hier Nr.7) genannt, das Gaigg erstaunlich langsam und sehr gefühlvoll interpretiert. Da sage mal einer, mit Originalinstrumenten könne man nicht klanglich sanft umgehen! Ohnehin sind Gaiggs Tempi erstaunlich. Im Vergleich zu Marriners Schubert-Complett-Version von 1982 mit modernen Instrumenten zeigt sich, dass Gaigg häufig langsamer und nur an ganz wenigen Stellen geringfügig schneller ist als Marriner. Das überrascht bei einer HiP-Version und erfreut zugleich, wo so viele Barock-Ensembles ihr Heil in der Geschwindgkeit suchen. Noch ein weiterer Punkt macht diese Box einzigartig: Die Sinfonien werden ergänzt durch Orchesterfragmente, die man so wohl noch nie gehört hat. Auch ein Scherzo-Fragment zur Unvollendeten gehört dazu, dass nach 36 Sekunden abbricht. Insofern ist diese GA von Michi Gaigg eine wunderbare Ergänzung zu Marriners GA, die Fragmente in Ergänzungen und Rekontruktionen enthält. Wer hören will, wie in (Brian Newboulds) Rekonstruktionen Fragmente hätten ggf. klingen können, der liegt bei Marriners Interpretationen richtig. Michi Gaigg hingegen bringt nur das zum Klingen, was Schubert auch selbst aufgeschrieben hat. Sehr verdienstvoll! Das gelungene Booklet informiert ausführlich über Werke und Interpreten. Die Live-Aufnahmen von der Schubertiade Hohenems haben eine gesunde Konzertsaal-Akkustik mit passendem Nachhall, der der Musik nicht die Durchhörbarkeit nimmt und doch die nötige Durchschlagskraft vermittelt. Eine einzigartige Schubert-Neuaufnahme, an der man nicht vorbei kommt.