Japanischer Underground-Sound der 90er
Exentrischer beinahe exessiver (japanischer) Psychodelic der 90er im Jahre 2018?
Nun, als ich mir Gedanken darüber machte, ob ich diesen Artikel bei JPC empfehlen könne, erschien es mir beinahe zu gewagt.
Doch erwies sich mir gerade diese Fragestellung im Verlauf als Wegweiser - wodurch die folgende Rezension etwas ausführlicher ausfällt.
Ist für die Freude und den Genuß von Musik, das Wissen um die Hintergründe, die Zeit in der sie sicht entwickelte, ausprägte, fortgeführt wurde oder aber auch Renaissancen erfährt, nicht zwingend, so doch hilfreich und auf der Basis des (Hintergrund-) Verständnisses, dass u.U. an Tiefe gewinnend, den Genuß steigern kann.
Tokyo Flashback 2018 ist die Wiederveröffentlichung der sehr einflussreichen, von Hideo Ikeezumi herausgebbrachten japanischen Psycho-Compilation von 1991 - mit ausgewählten Stücken von Ghost, Keiji Haino und anderen einflussreichen und international bekannten japanischen Musikern und Bands.
Der ürsprünglicher Herausgeber Hideo Ikeezumi gründete 1980 in Tokio ein eigenes Geschäft mit dem Namen Modern Music, das er mit Underground-Sounds unterlegte wie z.B. Jazz und, am wichtigsten für ihn, psychedelischer Musik, welche vom Maistream nicht erfaßt wurden und daher auch im breiteren Handel nicht zu finden waren.
Nachdem er mit einer Band namens High Rise, deren Mitglieder oft sein Geschäft aufsuchten und die er mochte, weil ihre Musik "obskur und chaotisch" war, 1984 ein erstes eigenes Album herausbrachte, das den Titel Psychedelic Speed Freaks trug, wurde sein Label "PSF" in den folgenden Jahren besonders durch die Charakteristica des "Psychedelic Speed" bekannt.
In den 80er Jahren gab es schon fast 20 Jahre lang psychedelische Musik, doch kreierten die Künstler, die Ikeezumi unterstützte - (die meisten von ihnen kamen aus der japanischen Avantgarde (Noise und Free Jazz)) neue Facetten einer speziellen und ausgeprägten beinahe exessiven 'Psychedelic' .
Die neue Frische des Psych-Rocks, den Ikeezumi für sich beanspruchte, war 1991 - mit Tokyo Flashback, dem zwölften Release des Labels und der ersten Multi-Artist-Compilation - ein Underground-Markstein, der international zahlreiche musikalische Speed-Freaks beeinflusste, jedoch jahrelang vergriffen war und nun 2018 neu aufgelegt wurde.
Untertitelt "ein lang ersehnter Sampler von 8 Künstlern, die die psychedelische Szene von Tokio antreiben", beinhaltete die damalige CD Ausgabe neben lautem, schrägen Jamming, intensivem Folk und punkigen Elementen (Blasts),auch experimentelle a cappella.
Alles von extrem primitiven Klängen zusammengehalten, da Ikeezumi die rohe, unvollkommene Produktion liebte, wodurch sich beim ersten Hören eine leichte Anstrengung bemerkbar macht, die sich aber im weiteren Verlauf und im Einfinden in die Musik, aufgrund der Autentizität und kommunalten Atmossphäre, zu einem Genußwert entwickelt.
Die erste Veröffentlichung von Tokyo Flashback trug dazu bei, den Namen von PSF international zu verbreiten und führte zu einer breiteren Öffentlichkeitswirkung für einige seiner Künstler.
Beispiele sind Ghosts spätere Arbeit an Drag City und die immer noch wachsende Bedeutung von Haino, der durch die Veröffentlichung eines konstanten Stroms von verschiedenartigen musikalischen Experimenten in den letzten vier Jahrzehnten, zu einer lebenden Legende geworden ist.
Vor seinem Tod im Feburar 2018 (67) hatte Ikeezumi das amerikanische Label Black Editions mit der Neuveröffentlichung des PSF-Kataloges beauftragt.
Diese neu erschienene Version von Tokyo Flashback - die erste auf Vinyl - enthält eine sehr beeindruckende Verpackung von Black Editions-Gründer Peter Kolovos und Rob Carmichael sowie Original-Linernotes von Hideki Shimoji, ein Name, von dem das Label sagt, dass es wahrscheinlich ein Pseudonym für Ikeezumi selbst ist.
Das wohl aufregendste Material auf Tokyo Flashback ist mit extrem ausgespielten, starken Gitarren und Mammut-Rhythmen durchtränkt, die sich in eine Kakophonie aus Lautsprechern mischen.
High Rise, Marble Sheep und die Run-Down Sun's Children und Fushitsusha (deren erste zwei Alben auf PSF, vor dem Tokyo Flashback veröffentlicht wurden ) sind legendär für ihren Psychobombast und strapazieren das Gaspedal, bis es zerbricht.
Doch gibt es auch ruhigere und anders atmossphärische Musik auf diesem Album: Ghosts seance-artige Akustik, White Heaven's Blue Cheer-artige Streicherarrangements, Kousokuya's langsam brennenden Metal und der rein stimmlichen Metal von Fushihsushas Keiji Haino, der nur aus seinen erschütternden Stimm-Calisthenics besteht.
Nach über 25 Jahren bietet Tokyo Flashback immer noch den Reiz des Besonderen und auch Geheimnisvollen, die (musikalische) japanische Unterwelt um 1991 'akusitisch' zu sehen, und führt den Hörer zu dem belebenden Moment, den Impuls in dem Künstler etwas Neues und Herausforderndes in einem verblaßten oder eher vergessenen Genre fanden.
So klingt Tokyo Flashback immer noch laut, kühn und wild genug, daß es fast alles übertönt, was "psychedelisch" genannt wird.
Diese sehr ausgefallene und recht exklusive Compilation bietet ist eine Chance, in einer Art Rückblende (Flashback), an dem Nervenkitzel teilzuhaben, ähnlich, wie er sich zum Beispiel in der Beschäftigung mit den Anfängen der Punkbewegung in England und NY in den 70ern dem CBGB'S Underground und Umfug (Ramones, Television, Patti Smith, Richard Hell, Talking Heads, auch The Police) und so vielen anderen (z.T. revolutionären) Bewegungen und musikalischen Richtungen einstellen kann.
So, wie in diesem Zusammenhang Hilly Kristal, wird wohl auch Ikeezumi, als großer und passionierter Musikfan, von diesem Impuls und Reiz des Besonderen, auf der Suche nach seltsamen Edelsteinen angetrieben und erfüllt worden sein.
- Braucht man diese Art Musik im Jahre 2018 - gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer jungen musikalischen Generationen?
Nicht unbedingt - doch begegnet man ihr mit Interesse, führt sie zu der Begegegnung mit dem Besonderen - der (zeitlosen) Kraft musikalischer Impulse und Eindrücke, dem musiklaischen Erleben über zeit- räumliche Grenzen und weckt möglicherweise auch das Interesse bei manchem Hörer (gleich welchen Alters) sich mit 'moderner' japanischer Musik und ihrer Entwicklung auseinanderzusetzen
- Ist Musik doch sowohl Kunst als auch Kommunikationsträger des Menschen in der Zeit -.
Daher (mit Dank für die Geduld und das Interesse des Lesers) vor diesem Hintergund - empfehlenswert.