Monumental
Ein monumentales, ein epochales Werk. Meine Rezension bezieht sich auf das Gesamtwerk.
Schon die nackten Rahmendaten erwirken Respekt: Band 1 erscheint 1979, der letzte Band 10/2 im Jahr 2008, über runde 29 Jahre erstreckt sich die Edition, mit 12500 Seiten nicht für den schnellen Überblick geeignet.
Dabei umfasst die Edition den Zeitraum 1933 bis weit über 1945 hinaus. Die Bände erscheinen nicht streng chronologisch, so sind z.B. Band 9/1 und 9/2 schon zwei bzw. drei Jahre auf dem Markt, als Band 8 erscheint. Keine Nachlässigkeit, sondern der erstmaligen Auswertung bislang geheimer, unzugänglicher russischer Archive, in denen nicht nur Informationen zur Situation der Roten Armee lagerten, sondern auch Beuteakten der ehemaligen Wehrmacht. Einzig und allein wegen der Zugänglichkeit der russischen Archive ab 1990 steht die vollständige Neubearbeitung des Bandes 4 (Der Angriff auf die Sowjetunion, erschienen 1983) noch aus.
Mit dieser Edition ist endgültig eine Zäsur in der wissenschaftlichen Bearbeitung des 'dritten Reiches' und des zweiten Weltkrieges eingeleitet. Die Erinnerungskultur der ersten zwei Jahrzehnte, überwiegend Rechtfertigungskultur mit Fragestellungen der Art ''wie wir den Krieg doch hätten gewinnen können, wenn '' ist zu Recht Geschichte und kann nun selbst wissenschaftlich bearbeitet werden.
Keine Facette dieser für die Welt so entscheidenden Phase haben die Autoren ausgelassen: So in Band 1 (Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik) mit einer Perspektive weit in das beginnende 20. Jahrhundert; Im monumentalen Doppel-Band 5 (2155 Seiten) die Organisation des deutschen Machtbereichs oder mit dem Doppel-Band 9 (2136 Seiten) über Staat und Gesellschaft im Kriege; mit sowohl vertikal wie horizontal tief gestaffelten Analysen der einzelnen Kriegsabschnitte. Dem Krieg gegen die Sowjetunion sind zwei Bände gewidmet: Band 4 und Band 8, in Teilen noch Band 6, wobei sich die Analyse des Kriegsgeschehens bis auf die einzelne taktische Ebene erstreckt, und bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran aufkommen lässt, welch ein Wahnsinn sich hier vollzog. Mit einigen Mythen wird gebrochen: (um nur die wichtigsten zu nennen): Rommel war nicht der strahlende Held und Wüstenfuchs sondern ein Menschenschlächter und gewissenloser Ehrgeizling, dem die Mehrung des eigenen Ruhmes wichtiger war als das Leben seiner Soldaten. Die Nachkriegsberichterstattung bis hinein ins 21. Jahrhundert hat die Goebbels'sche Mythologie nahezu unkritisch übernommen (eigentlich eine Schande wenigstens für die letzten zwanzig Jahre, weil doch die Fakten schon lange bekannt sind); oder dass die Generale hirnlose und willige Vollstrecker des 'Führer' Willens gewesen seien. Jedenfalls wird das Bild sehr viel differenzierter gezeichnet, als es gelegentlich als wissenschaftlich z.B. in populären historisierenden ZDF Sendungen kolportiert wird. Auch die nüchterne Analyse des deutschen Widerstandes (Band 9) oder der Rolle deutscher Künstler (Defa, a.a.O.) fehlt nicht. Zu keinem Zeitpunkt lassen die Autoren einen Zweifel daran aufkommen, mit welcher Zielstrebigkeit die führende Nazi Clique ein ganzes Volk in einen Krieg manipulierte, ja zwang, über dessen für Deutschland katastrophalen Verlauf immer Klarheit herrschte.
Thematisch lassen sich verschiedene Gruppen zusammenfassen, wobei ein Informationsverlust in Kauf genommen werden muss, der sich erst in der Gesamtschau aller Bände offenbart. So betonen die Autoren, dass der Verlauf der Ostfeldzuges nur unter Kenntnis von Band 5 und 9 vollständig zu überblicken sei. Für die Rahmenbedingungen und die ideologische Rechtfertigung: Band 1, 2, 9. Für den europäischen Krieg: Band 2, 3, 6 und 10. Für den Ostfeldzug: Band 4, 6, 8, 9 und 10.