Alternativ: Spatialisierter, stringent verschlankter Brahms
Vor Jahren erlebte und erinnere ich eine Brahms-Erarbeitung der Stiftung Karajan-Akademie unter Christian Thielemann in der Berliner Philharmonie, als er die jungen Musikanten vor allem des Klangs wegen beschwor, Brahms tiefgründende Melancholie wie einen alles umfassenden, grossen Celloklang wahrzunehmen und zu verstehen. Ich denke, er wusste dies zurecht.
Das Melancholische, wohl ein Brahms-Spezifikum, das wenig mit pidestalem Pathos und mehr mit seinem natürlich tiefen Empfinden, "frei aber einsam"(FAE-Sonate), mit privater, eher pathologischer Konstitution korreliert, was in musikalischer Sublimierung seinen formvollendet-gewichtigen, brahmsschen Ausdruck fand.
Wie auch immer, die hier vorliegende Neuaufnahme des Dänisches Kammerorchesters unter Adam Fischer vermittelt von solchart Gedanken kaum den Hauch melancholischer Eintrübung.
Meist wird m.E. ein eher sportiver Schnelldurchgang eingestellt und oft zu schnell und schon schmissig gespielt. - z.B. das Eingangsallegro der Ersten sollte auch 'poco sostenuto' klingen, das Adagio der Zweiten, der grosse Klagegesang der "Schmerzenskinder" wird in rund acht Minuten exerziert, die Vierte rasant als Debatte angestartet, und wie sonst auch im Detail überakzentuiert und spotlighthaft aufgelichtet oder, freundlicher formuliert, so betont transparent gestaltet, und quasi vibratofrei, dass keine Anmutung falscher Gefühligkeit oder gar reaktionäres Pathos aufkommen könnten, dabei allerdings unter Verzicht auf eine fliessende Verdichtung bzw horizontale Erdung des sanguinischen Klanggeschehens.
Wer das 'Allegretto grazioso (q.Andantino)' der Zweiten einmal von Giulini zelebriert gehört hat, wird meine Bedenken hören können und verstehen.
Also, das kammermusikalisch vertikal betonte, leichte Spiel klingt zwar verifizierbar blitzsauber durchleuchtet, jedoch phrasenweise emotional eher blass, etwas ausgedünnt und verflüssigt zu klanglich flotter Beliebigkeit.
Kein Vertun, in sehr schön gespielten Details blitzen durchaus auch instrumentale Stimmen hörbar auf, die sonstwo womöglich als nur beabsichtigte Klangfarbe wahrnehmbar sein sollen und nicht als musikalisch (un)wichtige Akzente, wie die häufig zu dominant vernehmbare Pauke.
Alles in allem erscheint mir dieser Brahms-Zyklus unter Adam Fischer infolge seines vorigen von Beethoven zu überambitioniert gegen einen philharmonisch-grossorchestralen Sound gebürstet. Wenn auch partiell erhellend und durchdacht phrasiert, bleibt er im fundamentalen brahmsschen sinfonischen (Klage)Gesang wenig tiefgründig und perspektivisch eindimensional, zu kleinteilig und detailaffektiv bemüht und leider klanglich lapidar und neutral.
Am besten erscheint m.E. die in sich stimmig tarierte Dritte.
Zu wenig für den neben dem unsteten Romantiker Schumann wirklich grossen herben Erz-Romantiker Brahms, der seine ganz privaten, geheimen Emotionen doch sehr bewusst in klassischer Gewandung inszeniert so eindrücklich zu formulieren wusste.