Beethoven Sonaten Levit
Igor Levit, frühzeitig zum Weltklasse-Pianisten hochpromoviert, bevor man ihn überhaupt gehört hatte, derzeit angesagt, gehypt und höchst multimedia-affin, hat auf der Basis seines erfolgreichen und höchst gelobten Debuts 2013 mit Beethovens späten Sonaten opp.101, 106 und 109-111 nun als erster und offenbar konkurrenzlos eine Gesamtaufnahme aller 32 Sonaten erarbeitet, und also das 'Allerheiligste Beethovens' (wie Joachim Kaiser geraunt hätte) auch mit Sony realisiert, schon vor dem 2020-B-Jubiläum präsentiert und inzwischen auch live in diversen Konzerten dargeboten.
Nun ist der anno 17-1800 durchaus recht freigeistig-revolutionäre Klassiker Ludwig van mit seinem pianistischen Werk in progress auch für heutige streamline Ohren eine veritable, strukturell und harmonisch z.T. hochkomplexe Zumutung, oldfashioned und so modern klingend zugleich.
Im rezeptions-publizistischen Echo steht letztlich das klanglich hörbare, notabene verifizier- und vergleichbare Resultat.
Dabei bezieht sich Levit primär auf zwei unangefochtene Grössen der Pianistenzunft, Artur Schnabel und Friedrich Gulda.
Schnabel als vergleichsloser Beethoven-Pionier seiner 1930-40er Zeit, Gulda als der moderne Exponent einer post-k.u.k.-bürgerlichen, unromantisch-sachlichen Interpretationshaltung schon 1953! und dann soviel versierter 1968.
Im Vergleich zu diesen erreicht Levit weder Schnabels musikalisch wie pianistisch radikal konzessionslose und z.T. schon erratisch akzentuierte Expressivität der musikalischen Gestaltung, noch Guldas stupende, rhythmisch disziplinierte Phrasierungskunst und Tempostringenz, seine lapidar ausgespielte Durchzeichnung musikalischer Verläufe, seine pianistische Souveränität.
- und ich möchte Schnabel und Gulda aus sehr persönlicher und spät erwachsener Zuneigung hinzufügen: Wilhelm Kempff.
Auch Levit hat (noch) nicht solch spielerischen Charme, so ein pianistisches parlando con grazia und jene womöglich intiutive, musikalisch-spirituelle Anschlagskunst des Kempff der vor allem 50er und noch 60er Jahre.
Heute, in Zeiten digitaler Re-produktion und universell gestreamter Verfüg- und Vergleichbarkeit, wäre ich eher ungern der xte gute Pianist, der 'seinen' Beethoven unbeeinflusst von ausser-musikalischen Reizen, Anregungen, Anmutungen oder Anmassungen spielen, einer, der nur sein Eigenes, sein noch unerhört Neues präsentieren wollte.
Man kann den Klavier-Genius Glenn Gould nur mehr verstehen, der sich schliesslich in seinem Studio-Refugium im Eaton's in Toronto eingerichtet, zurückgezogen, sich und seine Musik geschützt hat.
Alles hat seine Zeit. ?Muss es ... Es muss sein!
Vom statement eines jungen Gould und z.B. seiner früh und kühn formulierten op.111 'Arietta' und andren Beethoven-Erkundungen scheint Levit doch weit entfernt zu sein, er tourt, talked und streamt in Zeiten fundamentaler Verunsicherungen -
wie ein Beethoven einst, wer weiss?...
Als Resume bleibt ein allemal sehr respektabel und pianistisch profund gespieltes Sonaten-Konvolut zum Beethoven-Jahr.
Eine Gesamtaufnahme mit mehr pianistischem Glanz als musikalischen Schatten und leichten Ausdrucksschwächen in der vermittelnden Nuancierung von Tempo und Dynamik, rasantem, knalligem Zulangen und schon manierierter Geruhsamkeit, wie im gestelzten Andante der Pastorale.
Gekonnt und durchweg gewitzt gelungen klingen die opp.31, die für Levit nach eigenem Bekunden bedeutsame Waldsteinsonate ist im brio eher verhuscht und rasant als artikuliert, insgesamt weniger architektonisch geschlossen strukturiert wie beim ebenso zügigen Kempff, und dessen Adagio cantabile-Allegro des op.78, dessen 'Les Adieux', wird kaum sonst so selbstverständlich angestimmt.
Der flotten, aber in sich recht stimmigen Mondscheinpartie hätte eingangs etwas mehr sostenuto kaum geschadet, Empfindung und Ausdruck der op.90 klingen eher prätentiös als lebhaft, die geschwinde Singbarkeit allerdings dezent natürlich fliessend.
Nun denn, andre, grosse Beethoven-Pianisten wie ein Arrau, Brendel, Gilels haben dafür Jahrzehnte gebraucht, so what?
Allerdings bleibt leider ein insgesamt gehöriger Makel, und ein immerhin technischer: der softig-hallige Klang. Ein künstlich schwimmend-unscharfer 'Sound' wie aus einer Kirchenakustik, der Klavierkörper, Artikulation und pianistische Details vernebelt und mit einem Sfumato-Saum verbrämt. Dies ist bei der früheren Ausgabe der in der Berliner Siemensvilla produzierten späten Sonaten weniger deutlich vernehmbar gewesen.
Erstaunlich, zumal im Vergleich zu solchen Sony-Spitzenaufnahmen von Volodos oder Perahia, allerdings aus den Teldex-Studios und dem Rundfunkzentrum Nalepastrasse.
Die editorische Präsentation der Ausgabe ist vorzüglich mit einzeln gestalteten CD-Covern, einer Werkauflistung im informativen Booklet und inhaltlich adäquater Beschreibung der Sonaten, dazu Levits Interpretationsansichten. Detaillierte Aufnahmedaten.
Also, ein hörenswert ambitioniertes Beethoven-Spiel, pianistisch souverän und partiell akribisch raffiniert, intellektuell wie musikalisch avanciert kommunikativ ... So musste es sein!