Wissenschaftlich fundierter, verständlich geschriebener Ratgeber ohne praktischen Teil rund um das Thema Muskeln
Der bekannte Sportwissenschaftler Ingo Froböse, der Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln ist, beginnt "Muskeln – die Gesundmacher" bei den Basics, wenn er Muskeln ihrer Physiologie und Anatomie nach vorstellt. Das fängt bei den Namen der Muskeln an, deren lateinische Bezeichnung und Zusammensetzung aus mehreren Bestandteilen erläutert wird, und wird in der Klassifikation von Muskeln anhand von deren Funktion fortgeführt, die sich nach Skelett-, Herz- und glatter Muskulatur unterscheiden lassen. Zudem setzt sich der Autor mit dem Aufbau der Muskulatur, dem Bindegewebe sowie den unterschiedlichen Typen von Muskelfasern auseinander.
Dabei hat mir gut gefallen, dass sich der Schreibstil in diesem Sachbuch flüssig liest, da die Ausführungen verständlich gehalten sind, obgleich präzise beschrieben wird. Die sich an konkreten Zahlen orientierende Erzählweise von Ingo Froböse bleibt nicht im Vagen, indem etwa Prozentangaben zur Muskelmasse bei Männern, Frauen oder Sportlern in Abhängigkeit von deren Körpergewicht enthalten sind. Auch spart der Autor nicht am korrekten wissenschaftlichen Vokabular, sondern verwendet die entsprechenden Termini, nachdem er diese eingeführt hat. Beispielsweise werden den Energiestoffwechsel betreffend, deren Motor die Muskeln sind, die Mitochondrien und das Adenosintriphosphat (ATP) erklärt. Die Mitochondrien stellen die Minikraftwerke in den Zellen dar und das ATP ist die von den Mitochondrien produzierte Energie, die wir zum Leben benötigen.
Zum strukturierten Vorgehen, das "Muskeln – die Gesundmacher" prägt, haben für mich die in den Fließtext integrierten Schaukästen beigetragen. Diese umfassen wichtige Fakten, so dass sich diese zum späteren Nachschlagen nach der Lektüre dieses Sachbuchs anbieten, und interessante Tatsachen zu Muskeln. Diese listen etwa Weltrekorde der Muskeln auf, die neben dem stärksten, größten, längsten und kleinsten auch den aktivsten, schnellsten oder fleißigsten der 654 Muskel im Körper angeben. Als übersichtlich habe ich die in tabellarischer Form aufbereiteten Informationen empfunden. Dazu zählen beispielsweise eine Gegenüberstellung von Herz-, Skelett- und glatter Muskulatur anhand von deren Merkmalen (wie u.a. deren Länge, Dicke, Anordnung der für die An- und Entspannung der Muskeln zuständigen kontraktilen Filamente, d.h. Proteinfäden) und ein Vergleich von verschiedenen Typen von Muskelfasern. Zudem werden Verweise auf andere Kapitel gegeben, die in Zusammenhang mit dem gerade Gelesenen stehen (z.B. vom Abschnitt zur "Feinstruktur des Skelettmuskels" auf die motorische Einheit für Kraft und Steuerung).
Teilweise hätte ich mir jedoch mehr Verlinkungen gewünscht. So hätte ich etwa bei der Einführung der Mitochondrien eine Erwähnung des später folgenden Kapitels, das sich in detaillierter Weise den Mitochondrien als Energielieferant des Muskels widmet, als nützlich angesehen. An mancher Stelle haben mir Abbildungen gefehlt. Beispielsweise hätte ich bei der Ausführung, dass die Herzmuskulatur auch quer gestreifte Muskulatur genannt wird, da in einer Betrachtung mit Fokus auf die Gewebeart auf mikroskopischer Ebene helle und dunkle Bahnen als Streifen sichtbar werden, gern eine Aufnahme derselben zur Veranschaulichung vor Augen gehabt anstelle der nur in Fließtext erfolgenden Beschreibung.
Angesprochen hat mich, dass Ingo Froböse in “Muskeln – die Gesundmacher” theoretisches Hintergrundwissen nicht nur in oberflächlicher Form vermittelt, sondern stattdessen in die Tiefe geht. Dabei verliert der Autor nie den Schwerpunkt seines Sachbuchs aus dem Blick und bindet bereits in seinen einleitenden, sich mit der Physiologie und Anatomie von Muskeln auseinandersetzen Kapiteln Informationen zum Problemfall der glatten Muskulatur, zu verklebten Faszien als Schmerzursache sowie zur Veränderung der Muskelfasertypen durch Training mit ein.
In diesem Kontext steht der von Ingo Froböse verfolgte wissenschaftliche Ansatz, den ich als passend für die Materie empfunden habe. Denn wenn der Autor auf den positiven Effekt eingeht, den Training auf die Muskulatur sowie die allgemeine Gesundheit haben kann, werden verschiedene Studien zitiert. Dazu zählen die Veröffentlichung von Prof. Henneman aus dem Jahr 1957, die die Zusammenarbeit der Neuronen in den motorischen Einheiten, der motorischen Einheiten untereinander und miteinander in der Skelettmuskulatur erläutert, aber auch aktuellere Studien zum Muskeltraining bei Frauen von Prof. Petra Platen von der Universität Bochum aus 2009 bzw. zu Menschen mit spastischen Störungen, die in der Rehabilitation nachhaltig von Stretching profitieren können, von Doktor Zhihao Zhou von der Universität Peking aus 2016. Abgerundet wird dies von einem detaillierten Literaturverzeichnis, das sich im Anhang findet.
Zudem widmet sich Ingo Froböse Themen wie dem Muskeltraining bei Frauen oder im Alter, die sonst eher am Rande behandelt werden. Insgesamt deckt “Muskeln – die Gesundmacher” eine große Bandbreite unterschiedlicher Themen ab. Diese umfassen u.a. die “Muskelkraft und Muskelmasse im Altersverlauf”, Sarkopenie als krankhaften Muskelverlust im Alter, dem sich mit einem geeigneten Training entgegenwirken lässt, sowie für mich unerwartete Kapitel zur Verbindung von Muskeln und Gefühlen bzw. von Muskeln und Gehirn. Denn gezielte Muskelentspannung kann Abhilfe bei Stress, Angst oder durch Anspannung ausgelöstem Zähneknirschen verschaffen und körperliche Aktivität beeinflusst kognitive Funktionen.
Ein Schwerpunkt liegt im weiteren Verlauf dieses Sachbuchs auf den Myokinen als Heilstoffen der Muskulatur. Indem Myokine, die von der Muskulatur produzierte Botenstoffen darstellen, das Immunsystem unterstützen, Entzündungen bekämpfen, den Stoffwechsel aktivieren oder das Erinnerungsvermögen optimieren, sind Muskeln viel mehr als nur für Bewegungen zuständig. Überrascht hat mich zu erfahren, dass die Forschung zu den Myokinen noch in den Kinderschuhen steckt. Von den vermuteten ca. 3.000 Myokinen sind derzeit erst 600 bekannt.
Interessant fand ich auch zu lesen, welch vielfältigen Schutz Muskeln für unsere Gesundheit bedeuten, weil entsprechendes Training ganz unterschiedlichen Krankheitsbilder lindern kann. Dazu zählen etwa Herz-Kreislauferkrankungen, Adipositas, Diabetes, Rückenbeschwerden oder Arthrose. Nach der ganzen Theorie hat mir dann aber ein praktischer Teil gefehlt, in dem für die beschriebenen Krankheitsbilder wie insbesondere die Rückenschmerzen konkrete Übungen vorgestellt und mittels geeigneter Abbildungen bzw. via QR-Code verlinkter Videos illustriert worden wären. Da hätte das Wort zum Schluss, dass "Muskeln regelmäßiges Training brauchen”, eine andere Wirkung erzielen können, wenn ich das gleich anhand von konkreten Übungen in die Tat hätte umsetzen können.