Placido Domingo-The Versailles Gala
Die Gala mit einer Spieldauer von ca. 87 Minuten wurde im April 2022 in der Opera Royal de Versailles aufgenommen. Angegeben ist sowohl im Booklet als auch im "Klappentext" der Monat nicht. Das Booklet ist hochwertig gestaltet, Informationen sind dreisprachig und eine Überraschung: Die Libretti sind abgedruckt. Somit ist der Preis gerechtfertigt. Auch das Programm ist vermerkt und die Orchesterbesetzung, die mit 54 Musiker auf den ersten Blick recht klein wirkt. Die Bühne kann nicht das "Problem" sein, denn das Europakonzert 1997 der Berliner Philharmoniker fand u.a. dort auch statt und das mit rund 75 Musiker.
Für das Medium DVD ist das Bild klar und angenehm in den Farben. Das Menü ist auf Französisch und auf Englisch. Libretti können ebenfalls auf Deutsch eingestellt werden.
Die DVD startet mit einem Vorspann, es erklingt ein Thema aus "Le Carnaval romain" von Hector Berlioz. Das Orchestre de l'Opera Royal sitzt auf der Bühne, Dirigent Laurent Campellone, eigentlich ein Experte für das französische Repertoire, startet den Abend mit der Ouvertüre zu "La Forza del Destino" von Giuseppe Verdi. Ende 2022 schrieb der Tagesspiegel, dass die Berliner Philharmoniker diese Ouvertüre "in einer Schärfe spielen, die man nie in einem Opernhaus hören würde". Das mag stimmen, jedoch lag diese Aufnahme nicht weit hinter den Berliner Philharmonikern. Was auffällt, nur eine Harfe anstatt der üblichen zwei. Alexandra Luiceanu an der Harfe wird noch eine wichtige Rolle spielen. Auch auffällig: Die Große Trommel steht auf dem Boden und ist nicht höher (wie üblich) platziert. Dadurch entsteht ein starker Klang in der Basslinie der Ouvertüre.
Nach der Ouvertüre kommt Placido Domingo, zu dem Zeitpunkt 81 Jahre alt, auf die Bühne. Der Applaus war mehr als freundlich, immer noch zieht der "Bühnenlöwe" die Menschen an. Er singt aus "Andrea Chenier" die Arie "Nemico della patria". Diese Arie sang er ebenfalls in der Aufnahme "Placido Domingo at the Arena di Verona". Die Stimme ist nicht mehr so kräftig wie noch vor einigen Jahren, was natürlich zu erwarten war. Dass Domingo neuerdings auch Noten vor sich haben muss, ist aber neu. Man kannte es von Pavarotti, der 1994 in Los Angelos selbst das "Ave Maria" förmlich ablesen musste. Die zweite Oboe alterniert das erste Mal an diesem Abend mit dem Englischhorn. Die zweite Flöte spielt die "große Flöte" (Querflöte) zum ersten Mal.
Jennifer Rowley, Sopran aus Amerika, kam und sang die Arie der Adriana "Io son l'umile ancella" aus der Oper "Adriana Lecouvreur". Sie sang u.a. in Bologna, New York, London, Dresden und Berlin. Oft wird sie besetzt als "Tosca", "Valentine" (Die Hugenotten). Die Aufnahme ist vergleichbar mit der Aufnahme von 2018 unter den Wiener Philharmonikern mit Anna Netrebko beim Sommernachtskonzert Schönbrunn.
Nach dem sich die beiden Solisten des Abends vorgestellt haben, spielte das Orchester das Intermezzo aus der Oper "Fedora". Auffällig ist die Spieldauer, die mit 02:09 sehr kurz ist, wenn man die Aufnahme aus Verona zum Vergleich hinzuzieht, die war 03:10 lang.
Es folgt das lange Duett (18:51) "Madamigella Valery?" zwischen Violetta und Germont aus Verdis "La Traviata". Rowley singt ihre Rolle angemessen und ihr wird der Beitrag abgenommen. Domingo, Singstimme eigentlich Tenor, versucht sich altersgemäß an diese Baritonrolle, die man ihn nicht immer abnimmt. Einige Unsicherheiten sind zu hören und auch zu sehen.
Das Orchester spielt Opus 9 von Hector Berlioz "Le Carnaval romain". Hier fällt zum ersten Mal die Orchestergröße ins Gewicht. Die hohen Holzbläser sind besetzt wie Berlioz sie verlangt. 2 Flöten, eine alternierend mit der Piccolo. Zwei Oboen, eine alternierend mit dem Englischhorn. 3 Klarinetten und 4 Fagotte schreibt Berlioz vor, es bleibt bei 2 Klarinetten und 2 Fagotte. Die Blechbläser bestehen aus 2 Trompeten, die hier alternierend das Kornett spielen, 4 Hörner und 3 Posaunen. Das Schlagwerk besteht aus einem Pauker und zwei Percussionisten. Berlioz schreibt insgesamt fünf vor. Einen Pauker, zwei Tamburine, ein Triangel und ein Paarbecken. Somit übernimmt einer in Versailles das Tamburin, der andere wechselt zwischen Triangel und Paarbecken. Trotzdem zeigen die 18 Violinen (10 Erste, 8 Zweite), 6 Violas, 5 Celli und 3 Kontrabässe, aber wo das Geheimnis der Ouvertüre liegt. Es liegt bei den Streichern, die zusammen mit der Piccoloflöte den Charakter der Ouvertüre ausmachen.
Placido Domingo singt die französische Arie "O vin dissipe la tristesse", das "Bacchanale" aus Ambroise Thomas "Hamlet". Vielleicht die Nummer, die Domingo am besten an diesem Abend intonierte.
Jennifer Rowley singt den ersten Beitrag des Abends von Jules Massenet. Es ist die Arie "Pleurez, pleurez mes yeux !" aus Le Cid. Die frühe Aufnahme aus Hamburg mit Maria Callas schwebt einen vor Augen, wenn man Rowley singen hört. Auch wenn die Videotechnik in den frühen 1960er-Jahren noch ausbaufähig ist, ist der Beitrag von Callas ausdrucksstärker.
Die zweite Massenet war, wie zu erwarten, die "Meditation" aus Thais. Er erklangt in der Konzertfassung, ohne Bassklarinette und ohne Blechbläser (außer die obligatorischen Hörner). In dem Abend "Love Duets" den Domingo 2020 in der Arena di Verona dirigierte, war die Opernfassung zu hören. Auch wenn kein Unterschied beim erstmaligen Hören festzustellen ist, hört man doch irgendwann, dass die Fassung mit Blech und Bassklarinette ein wenig überladend wirkt und völlig im Kontrast steht zu der ruhigen, melancholischen Grundmelodie. Alexandra Luiceanu (Harfe) und Zhang Zhang als Konzertmeisterin verdienen einen Extraapplaus. Laurent Campellone dirigiert mit einer Ruhe, die für solche Werke unabdingbar ist.
Der letzte offizielle Punkt des Konzerts folgt. "Udiste?... Mira, d'acerbe lagrime". Das Duett aus Verdis Il trovatore. Wie schon in Arena 2020 war das Duett ganz nett, aber noch lange keine Referenzaufnahme.
Die Zugaben folgen. Domingo singt "Amor, vida de mi vida" aus der Zarzuela "Maravilla". Vielleicht ist die Zeile für das Konzert passend: "...wie traurig der Abschied doch ist." Placido Domingo war mal einer der größten Sänger dieses Planeten. Seine Interpretationen waren immer aussagekräftig, manchmal etwas falsch besetzt, man denke an die "Walküre". Seine "Winterstürme wichen dem Wonnemond" waren ambitioniert. Musikalisch ist sein Erbe auf vielen Tonträgern zu finden, neue kommen nicht mehr hinzu mit dem Gedanken: "Das wird die neue Referenzaufnahme", sondern mit dem Gedanke: "Da kann sich jemand noch nicht verabschieden." Eigentlich schade. Zu "Maravilla", eine Aufnahme, die nicht sehr originalgetreu gespielt wird, aber die eine Daseinsberechtigung hat, ist die Aufnahme mit den Platin Tenören aus dem Jahre 2015.
Rowleys Zugabe ist Puccinis "Quando m'en vo" aus La Boheme. Ihre beste Nummer des Abends. Sie singt die Arie keck im Ausdruck und das Orchester spielt so lieblich, wie Puccinis Melodien oftmals sind. Bravo an alle Beteiligten!
Zum Schluss des Abends kommen beide Solisten noch einmal auf die Bühne und singen "Lippen Schweigen" aus der lustigen Witwe von Franz Lehar. Mit einer Tanzeinlage und Domingo singt ohne Ablesen. Das Duett wird immer wieder in Rahmen von Galas gespielt, ist es doch ein echter Publikumsmagnet.
Zusammengefasst: Wenn man die Schwächen von Domingo ausblendet, ist es ein gelungener Konzertabend. Das Duett aus "La Traviata" war vielleicht ein wenig Fehl am Platz, da es mit fast 20 Minuten auch fast 20% des Konzerts ausmacht.