Gute und kompakte Leistung der Altrocker
Nächstes Jahr besteht die englische Hard Rock-Legende seit einem halben Jahrhundert (wobei Deep Purple sich 1976 schon einmal auflösten, doch 1984 wieder in der legendären Mark II-Besetzung zusammenfanden). Da ist es kein Wunder, dass die Truppe aktuell auf ihrer „Long Goodbye Tour“ ist. Obwohl - einen genauen Abschiedstermin haben sie nicht genannt…
Zwischenzeitlich ist Drummer Ian Paice (68) als einziger von der Urbesetzung noch dabei. Die prägenden Instrumentalisten Ritchie Blackmore an der Gitarre und Organist Jon Lord (2012 verstorben), die sich legendäre Duelle auf der Bühne lieferten, verließen die Band teilweise bereits vor Jahrzehnten.
Mit dem amerikanischen Gitarristen Steve Morse (62), der fünfmal hintereinander vom Magazin Guitar Player zum „Gitarristen des Jahres“ gewählt wurde, ist seit 1994 ein technisch versierter Nachfolger für den Exzentriker Blackmore an Bord. Die bandtypische Hammond Orgel-Grundierung wird seit 2002 adäquat von Don Airey (69) fortgeführt. War Jon Lord, was den Soloanteil auf den Studioalben anbelangt, immer mehr in den Hintergrund getreten, hat Don Airey hier wieder aufgeschlossen, so dass sich heute die Gitarren- und Keyboard-Soli die Waage halten.
Altgedient sind dagegen Sänger Ian Gillan (71) und Bassgitarrist Roger Glover (71), die bereits 1969 erstmals bei der Band einstiegen, durch Querelen mit Ritchie Blackmore aber auch immer mal wieder nicht in der Band waren.
Starproduzent Bob Ezrin hatte den Altrockern bereits 2013 eine Frischzellenkur verordnet, die in Form des Albums „Now What?!“ sogar in den deutschen Album-Charts die Poleposition erzielen konnte. Weitere vier Jahre später gelingt der Truppe unter den Produktionsfittichen von Ezrin, der auch wieder für den heute üblichen Powercompression-Sound sorgt, nun das Kunststück mit der neuen Scheibe „Infinite“ sogar nochmals!
Natürlich ist eine Legende wie Deep Purple immer in ihrer eigenen Historie gefangen. Man kann und darf sich nicht neu erfinden, muss aber immer wieder für kleine Überraschungen sorgen, um den Zeitgeist nicht aus den Augen zu verlieren und nicht zu nerven. Diese schwierige Gratwanderung ist den Hardrock-Senioren auf jeden Fall geglückt. Die zehn neuen kompakten Songs auf deren 20. Studioalbum liefern den Fans wieder neue Grooves und Riffs in der Art, die schon immer Deep Purples Markenzeichen waren: knackige Gitarrenriffs plus Orgel-Sound, einprägsame Gesangslinien und Refrains, virtuose Soli und elastische Rhythmusbegleitung. Ian Gillan, der Anfang der 70er Jahre die Maßstäbe für Rock-Sänger definierte, geht mit seinen heute eingeschränkten Gesangsmöglichkeiten äußert gelungen um, meidet die Höhe, verfremdet sein Organ auch zuweilen, bleibt aber immer wiedererkennbar.
Es sind die kleinen Besonderheiten, die fesseln: ein Moog-Solo, dezentes Jazzfeeling, ein Taktwechsel – oder auch ein Wiederhören mit Ian Gillans Mundharmonika (im Doors-Cover „Roadhouse Blues“). Natürlich werden auch die Grenzen zum Kitsch, Pathos oder Kneipen-Sentimentalität gestreift, doch keines der Stücke ist ein Ausfall. Allerdings wird auch keines Kultstatus wie die früheren Blackmore-Kracher erreichen.
Anspieltipps: „Time For Bedlam“, „All I Got Is You“, „The Surprising“.