Banales und Bewegendes zu nah beieinander
Die CD beginnt mit dem Höhepunkt der vorgelegten Aufnahmen, Schostakowitschs "Romanzen, op. 127" von 1967.
Sein Biograf Krzysztof Meyer, selbst namhafter Komponist, schreibt voller Begeisterung über diesen Zyklus: „Die 'Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok' gehören zu Schostakowitschs Spitzenleistungen. Sie sind ein Meisterwerk der Vokallyrik, die in seinem Schaffen nicht ihresgleichen haben und zu den wundervollsten Vokalzyklen unseres Jahrhunderts zählen.“ (Meyer, S. 480)
Uraufgeführt wurden die "Romanzen" 1967 von einigen der bedeutendsten Solisten der damaligen Sowjetunion: Galina Wischnewskaja (Sopran), David Oistrach (Geige), Mstislaw Rostropowitsch (Cello) sowie von Mieczysław Weinberg. Alle vier waren mit Schostakowitsch befreundet, der aus Krankheitsgründen nicht selbst den Klavierpart übernehmen konnte. Der große David Oistrach, wahrlich mit umfangreichster internationaler Bühnenerfahrung, erinnert sich: „Das war eine unvergessliche Uraufführung. Die Auseinandersetzung mit dieser Musik war für mich ein ungeheuer großes Erlebnis […] Als wir den Zyklus zum erstenmal spielten, durchstand ich Höllenqualen. […] Ich war sehr nervös, und das Lampenfieber brachte mich halb um. [..] Das Werk gefiel so gut, daß es auf Wunsch des Publikums vollständig wiederholt wurde.“ (Meyer, S. 481)
Das macht den Rang der "Sieben Romanzen" deutlich, das ist das Niveau, auf dem sich die Interpreten bewegen müssten. Gelingt dies Kataryna Kaspar (Sopran) mit dem Trio Vivente (Jutta Ernst, p; Anna Katharina Schreiber, v; Kristin von der Goltz, c)?
Teils, teils.
Was kennzeichnet diese Stücke? Zwar hat Schostakowitsch die sieben Lieder nach Blok als „Romanzen“ bezeichnet, aber wer darunter zartfühlende Liebeslieder erwartet, der irrt. Vielmehr ist dies ein hochdramatischer Zyklus, der in seiner schwarzen und verzweiflungsnahen Grundstimmung Schuberts "Winterreise" sehr viel näher steht, als allem, was wir unter „Romanzen“ erwarten würden. Dem muss die Gestaltung durch die Sopranistin und dem mitgestaltenden Klaviertrio entsprechen.
Die "Sieben Romanzen" sind vielfach auf CD eingespielt worden. Leider meist nur als Beipack zu Klaviertrios. In vielen der Aufnahmen, gelingt den Sopranistinnen m. M. die adäquate Interpretation nicht. Allzu häufig wird zu lyrisch-romantisch und mit diffusem Weltschmerz gesungen. Diese Gedichte sind jedoch Dramen existentieller Verzweiflung und ein Aufbäumen gegen die finsteren Gewalten. Diesen Zyklus kann man als Essenz des bitteren, stets bedrohten Lebens von Schostakowitsch unter dem Massenmörder Stalin sehen. Während manche anderen Sopranistinnen das vertändeln, gelingt es hingegen Kataryna Kaspar mit ihrem tief grundierten Sopran, und durchweg dramatisch inszeniert, das Werk auf bewegende Weise zu gestalten. Das geht durch und durch. Der Höhepunkt des Zyklus ist in der siebten Romanze der Aufschrei des Widerstandes: „Musik, Beherrscherin der Erde! / Trotz Tod und Qualen und trotz Leid: / Der letzte Becher, den ich leere, / sei noch in Demut dir geweiht!“ Das ist ein Aufbäumen gegen die geistige Vernichtung und den Terror politischer Korrektheit unter Stalin. Vonseiten Schostakowitschs durchaus autobiografisch zu verstehen. Das gestaltet Kataryna Kaspar erschütternd. Hier gelingt eine große Interpretation. Und das Trio? Leider kann dem das Klaviertrio nicht so ganz folgen. Es reicht nicht, nur forte bzw. fortissimo zu spielen, wenn ein dramatischer Aufschrei gefordert wäre. Hier geht es auf Leben und Tod. Vor allem der Klavierpart bleibt hier weit hinter dem Geforderten zurück.
In diesen Passagen zeigt sich auch schon das ganze Dilemma der weiteren Aufnahmen dieser CD. Der zweite kompositorische Höhepunkt ist Weinbergs "Trio für Geige, Violoncello und Klavier, op. 24" von 1945. Der jüdische Pole Mieczysław Weinberg, der 1939 mit seiner Familie aus Warschau in die Sowjetunion floh, um den polnischen Pogromen zu entkommen (und dort den russifizierten Namen Moissei Wainberg annahm), litt ähnlich wie der mit ihm befreundete Schostakowitsch unter dem Terror des Stalin-Regimes. Das, wenn man so will, spiegelt sich in seinem "Klaviertrio op. 24" wieder. Auch dies ein dramatisches Werk, das eine hohe Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit der Instrumentalisten erfordert. Geige und Violoncello gelingt dies weitgehend. Doch das Klavier ist zu brav und zu banal. Als Beispiel möge der zweite Satz, die Toccata, dienen. Eine Toccata ist seit der Romantik häufig ein sehr stark rhythmisch akzentuiertes Stück (ital. toccare = schlagen), dem schon wegen seines Grundcharakters eine gewisse Härte innewohnt. Bei Weinberg dient sie zum Ausdruck großer Spannung und aggressiver Gewalten. Vor allem der linken Hand des Klaviers kommt in den Anfangspassagen der Toccata die symbolträchtige Rolle einer zuschlagenden „Pranke“ zu. Was macht das Klavier in unserer Aufnahme? Die linke Hand tupft. Da steht in den Noten ein tiefer Ton, also wird er gespielt. Warum der Ton dort steht, erschließt sich dem Hörer nicht. Wer hören will, was in diesem grandiosen Stück eigentlich vorgeht, der sollte sich die Aufnahme mit dem Geiger Gidon Kremer, der Pianistin Yulianna Avdeeva und der Cellistin Giedré Dirvanauskaité von 2018/19 anhören (Mieczysław Weinberg: Chamber Music, DG 483 7522). Das ist, wie ich meine, die Referenzaufnahme. Herausragend! Die hier besprochene CD ist dagegen leider nur ein Nebenprodukt eines engagierten Labels und fällt ab.
Hilfreich ist das Beiheft zur CD. Der Text von Marcus Imbsweiler führt gut in die Stücke ein, die Fotos ergänzen schön (darunter ein Foto von der Uraufführung der "Sieben Romanzen"). Für den Zugang zu den Liedern absolut notwendig sind auch die vollständig abgedruckten Liedtexte (russisch/jiddisch/deutsch/englisch), einfühlsam nachgedichtet von Manfred Koerth und übersetzt von Dorothea Greve u.a. Wer die Texte nicht kennt, der versteht die Stücke nicht. Dem Label sei Dank!