Ein bemerkenswerter Komponist ist zu entdecken
Er ist ein Unbekannter. Wer kennt hierzulande schon den griechischen Komponisten Nikos Skalkottas (1904-1949)? In den Konzertsälen ist er seltenst zu hören. Das ist sehr schade. Skalkottas lebte von 1921 bis 1933 in Berlin, studiert Geige u.a. bei Willy Hess, einem Schüler des berühmten Joseph Joachim. Seine wahre Leidenschaft aber gehörte der Komposition. Es ist nicht ganz sicher, aber einer seiner ersten Lehrer ist wohl Kurt Weill. Seinen prägenden Einfluss erhielt Skalkottas jedoch von 1927-1933 in der Meisterklasse von Arnold Schönberg, der ihn sehr schätzte. Finanziell lebte Skalkottas trotz zwischenzeitlicher Stipendien in katastrophalen Verhältnissen und schlug sich als Kaffeehaus- und Kinogeiger durch. 1933 zwang ihn die Misere zur Rückkehr nach Athen, wo er, von seinen Zeitgenossen klassisch unverstanden, in völlige Vergessenheit versank. Schon in Berlin war er in eine Schaffenskrise geraten, viele seiner Kompositionen aus dieser Zeit gingen verloren, doch nach mehrjähriger Zäsur begann er 1935 in Athen wieder mit dem Komponieren. Dass er keine Hoffnung auf Aufführung seiner Werke hatte, kam seinen Werken zugute. Er komponierte nun ohne Zugeständnisse an zweitklassige Ensembles. Und so entstanden u.a. die beiden vorliegenden Meisterwerke, das 3. und 4. Streichquartett.
Das 3.Streichquartett von 1935 beginnt in klassischer Sonatenform, allerdings auf der Basis einer Zwölftonreihe, deren Entwicklung man vor allem im Violinpart gut verfolgen kann. Was dieses Werk, anders als manch andere Zwölftonkomposition, dem aufmerksamen Hörer öffnet. Während Satz zwei und drei auf kompositorischer Ebene noch komplexer werden, gelingt es Skalkottas zugleich durch tänzerische Rhythmen und Stimmführung das Werk aus der esoterischen Zwölftonecke herauszuholen und emotional für den Hörer zugänglich zu halten, mehr noch, zu einem intensiven Hörvergnügen zu führen, hier ganz seinem Lehrer Arnold Schönberg folgend, der stets betont hat, dass es bei der Zwölftonmusik nicht primär um die Konstruktion gehen solle, sondern um das musikalisch-emotionale Hörerlebnis. Die Musik solle sich nicht hermetisch abschließen. Das ist Skalkottas in diesem Werk von 1935 wunderbar gelungen.
Darüber noch hinausragend, und teils neue alte Wege gehend, ist das 4. Streichquartett aus dem Frühjahr 1940. Man darf es zu den großen Streichquartetten des 20. Jahrhunderts zählen, und es würde im Konzert, gepaart mit einem Streichquartett Bartoks, wunderbar bestehen. Diesem Streichquartett gelingt auf herausragende Weise die völlige Synthese aus höchst ausdifferenzierter Schreibweise und ganz großem, sich mehr und mehr intensivierendem emotionalem Bogen. Bei diesem Werk von großer Meisterschaft klingt nichts mehr handwerklich hinzukomponiert, keine künstlichen Effekte um der Abwechslung willen. Alles, was der Hörer gebannt hört, strömt auf völlig natürliche Weise, entwickelt sich aus dem Vorherigen, als ob es nicht anders sein könnte. Und dann der dritte Satz, was für ein Scherzo, das sich mehr und mehr zu einem Furioso aufbaut, einer höchst expressiven Klimax, die den Hörer völlig in den Bann schlägt.
Dieses packende Musikerlebnis ist dem exzellenten Spiel des New Hellenic Quartet zu verdanken. das in Deutschland leider kaum bekannt ist. Sie spielen das Werk auf der Höhe der Komposition, und man versteht überhaupt nicht, warum andere, berühmtere Streichquartettformationen, das im Konzertsaal höchst dankbare und zugleich anspruchsvolle 4. Streichquartett bislang nicht in ihr Repertoire aufgenommen haben. Dem New Hellenic Quartet sei für ihre großartige Pionierarbeit gedankt.
Zu danken ist hier auch dem Schallplattenlabel BIS, das sich zur Aufgabe gemacht hat, mit zahlreichen CD-Publikationen Nikos Skalkottas ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzuholen. Die Aufnahmetechnik ist vorzüglich, der Klang transparent, aber nicht kühl.
Die völlig unzureichende Aufmachung des Beihefts muss aber auch erwähnt werden. Während der Text den Musikliebhaber ausreichend mit Skalkottas und seinen Streichquartetten vertraut macht, kann man über das völlig lieblose Cover nur den Kopf schütteln. Es zerfällt in grafische Beliebigkeit auf Praktikantenniveau und signalisiert mit dem jahrzehntealten Foto von Skalkottas eigenem Streichquartettensemble eine historische Aufnahme. Es ist keine! Das ist ein krasser Marketingfehler. Wer das Lagerfeuerknistern historischer Aufnahmen nicht schätzt, wird diese CD links liegen lassen. Auch der Rest der Skalkottas-Serie folgt in der Aufmachung leider oft provinziellsten Mustern. Gleich vier CDs biedern sich mit griechischen Tempelfotos an, so als ob es sich bei dieser Musik um Touristenfolklore handeln würde. Wer käme auf die abstruse Idee, Debussy mit Bildern von Sacré-Coeur und Beethoven mit dem Stephansdom zu vermarkten! Es wäre dienlich, wenn BIS Nikos Skalkottas auf demselben grafischen Niveau wie beispielsweise Othmar Schoeck oder wie das Trio Zimmermann vermarkten würde. Leider ist auch die deutsche Übersetzung des Begleittextes nicht immer sachkundig, und unsinnig ist es, den Namen (!) des Streichquartetts zu übersetzen. Das heißt nicht "Neues Hellenisches Streichquartett"! Wie das Ensemble wirklich heißt, erfährt der Leser nicht. Im Beiheft trägt es einen englischen, einen griechischen und einen deutschen Namen. Für Neugierige: Sie heißen (transkribiert) Neo Elleniko Quarteto.
Dennoch: Alles in allem, großes Lob an BIS für die verlegerische Tat, Begeisterung für die Realisierung durch das New Hellenic Quartet und für den Hörer ein denkwürdiger Konzertabend mit dieser wunderbaren CD.