Schade, schade, schade!
Ich liebe Rockpile! Weiss Gott - ICH LIEBE ROCKPILE!!! Wie schrieb der britische Musikkritiker Patrick Humphries im Melody Maker einmal so treffend: “The best down the line, no holds barred, shit or bust rock’n’roll band in Britain!“ In Britain? Keine Kapelle der Welt konnte dieser Rock’n’Roll-Dampfwalze seinerzeit auch nur annähernd das Wasser reichen! Unter Fans kursieren seit jeher unzählige Bootlegs sowie Radio- bzw. TV-Mitschnitte, welche dem Zuhörer bzw. Zuschauer durch begeistertes Dauergrinsen stets Muskelkater im Gesicht bescheren. Aber bis auf wenige Aufnahmen (“Concerts For Kampuchea“ oder CD-Bonustracks), die man an den Fingern einer Hand abzählen kann, gab es offiziell leider keine exemplarischen Zeugnisse dafür, warum Bands nur äußerst ungern nach Rockpile auf die Bühne gingen (bestes Beispiel: Nach nur wenigen Konzerten flogen sie aus dem Vorprogramm der Bad-Company-US-Tour - und zwar nicht, weil sie etwa zu schlecht gwesen wären!). Dabei waren die Jungs zwischen 1976 und 1980 eigentlich ständig auf den Brettern der Welt unterwegs und hatten sich so binnen kürzester Zeit als erstklassige Live-Band wahren Kultstatus erspielt. Und als ich erfahren hatte, dass diese CD nun erscheinen sollte, konnte ich es kaum noch erwarten, meinen Player damit zu füttern. Welcher Teufel jedoch die Leute von Eagle Records bei der Produktion dieses Live-Mitschnitts geritten hat, ist ein Mysterium der ganz speziellen Art.
Der begeisternde Auftritt der Band beim Montreux-Festival 1980 war ja seinerzeit über die Bildschirme des schweizerischen Fernsehens geflimmert. Und als VHS-Mitschnitt dient er mir bereits seit Jahrzehnten immer wieder als Kompensation dafür, dass ich selbst leider nie in den Genuss gekommen war, Rockpile livehaftig zu erleben. So stechen mir natürlich die gesammelten Minuspunkte dieser CD besonders schmerzhaft ins Ohr. Womit beginnen?
Vielleicht damit, dass es sich hier mitnichten um den KOMPLETTEN Auftritt von Dave Edmunds, Billy Bremner, Nick Lowe und Terry Williams am 12. Juli 1980 im Casino von Montreux handelt. Zum einen begannen Rockpile ihren Set mit der damaligen Mrs. Lowe: Carlene Carter hatte kurz zuvor ihren Longplayer “Musical Shapes“ veröffentlicht, auf dem sie von der Combo ihres Gatten begleitet wurde. Und so nahm man dies zum Anlass, zwei Stücke daraus zum Auftakt des Abends zu präsentieren. Dies wird dem geneigten Hörer dieser CD jedoch sowohl verschwiegen als auch vorenthalten. Kann man in diesem Falle möglicherweise das Zugrundeliegen von rechtlichen Gründen vermuten, so ist die Tatsache, dass man die tolle Version von “Singing The Blues“ aus dem Konzert ’rausgeschnitten hat, eher unerklärlich. Ärgerlich ist es allemal.
Nick Lowe führte bei diesem Gig als Conferencier durchs Programm, und seine Ansagen - mit Charme und typisch augenzwinkerndem Humor - haben dem ganzen Spaß noch eins draufgesetzt (z.B. beim Intro zu “I Hear You Knockin’“: “Here’s an oldie but goldie – almost as old as Dave“). Auch das alles fiel rigoros den umfangreichen Edits zum Opfer! Und bei einer Gesamtlaufzeit der CD von 49 Minuten hätte hierzu auch nicht die geringste Veranlassung bestanden!
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Rockpile lieferten an diesem Abend (wie so oft) einen mitreissenden Gig ab. Davon kommt hier aber leider nur wenig 'rüber. Denn auch tontechnisch haben sich die Macher der CD nicht mit Ruhm bekleckert: Der Sound klingt seltsam distanziert, der Mix ist verwaschen und alles andere als ausgewogen. Nicht nur Edmunds’ Gitarre, auch die Vocals gehen streckenweise nahezu gänzlich unter, wohingegen der Bass von Nick Lowe manchmal soweit in den Vordergrund gemischt ist, wie man es sich für das ein oder andere Gitarrensolo gewünscht hätte. Und während “(You Ain’t Nothin’ But) Fine, Fine, Fine“ fährt zu allem Überfluss auch plötzlich noch der linke Kanal für nahezu 30 Sekunden halbe Kraft zurück. Da lohnt es durchaus, sich auf dem Second-Hand-Markt nach dem ein oder anderen weniger legalen Produkt umzusehen, denn 90% aller Rockpile-Bootlegs klingen WEITAUS besser!!
Kommen wir zur optischen Aufmachung. Ich glaube, ein Design mit noch weniger Aussagekraft habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Und die wenigen Fotos vom Auftritt (in schwarz/weiß bzw. gelb/braun gehalten) bezeugen zusätzlich, dass man sich mit dieser lieblosen Veröffentlichung herzlich wenig Mühe gegeben hat. Ach ja, und der mit wenig Sachverstand verfasste Booklet-Text wartet darüber hinaus mit so manchen Halbwahrheiten und Fehlern auf und rundet somit den Gesamteindruck des Produkts entsprechend ab.
Bleibt abschließend zu erwähnen, dass eine DVD-Veröffentlichung von der TV-Übertragung dieses Konzerts die ungleich überzeugendere Variante gewesen wäre - auf YouTube kann man sich gerne ausschnittsweise davon überzeugen. In jedem Falle hat man mit dieser CD weder dem Fan noch dem Andenken an eine der großartigsten Rock’n’Roll-Bands aller Zeiten einen Gefallen getan.
Mehr als schade!
Weiterhören:
"Seconds Of Pleasure"
"Tracks On Wax 4" (Edmunds)
"Repeat When Necessary" (Edmunds)
"Twangin'" (Edmunds)
"Labour Of Lust" (Lowe)
"A Good Week's Work" (Bremner)
"No Ifs, Buts, Maybes" (Bremner)