Sehr gute Interpretation, aber welcher Werke?
Anthony Spiri bietet auf dem modernen Flügel eine erstklassige, einfühlsame Interpretation dieser Stücke, die seinerzeit auf dem Cembalo oder Clavichord erklungen sind - aber gut die Hälfte der CD - die Fantasia c-moll, die Sonaten D-Dur und G-Dur - stammt aus der Berliner Handschrift P.833, die eine Abschrift des Drucks von sechs Sonaten und einer Fantasie von Johann Wilhelm Hässler darstellt, 1776 in Leipzig veröffentlicht. In Paul Kasts Ergänzungen zu Falcks Werkverzeichnis tragen sie die Nummern Fk nv 2-8 (nv steht für "nicht vorhanden"). Paul Horn hat diese Stücke 1960 im Rahmen der Stuttgarter Bach-Ausgaben der Hänssler Edition veröffentlicht. Aber seit der Dissertation von Peter Schleuning von 1972 und dessen Gesamtausgabe der Clavierfantasien W.F. Bachs ist die c-moll Fantasie als Werk Hässlers identifiziert; die Dissertation Peter Wollnys über W.F. Bach von 1993 hat dies bestätigt. Nur kursiert die Notenausgabe mit der falschen Zuschreibung noch, und Spiri hat sich sogar die Mühe gemacht, sie mit der Handschrift in Berlin zu vergleichen. Mit anderen Worten: so gutes Spiel, so viel Aufwand der Recherche, und doch dieser kapitale Zuschreibungsfehler ... wer solche Musik auf einem modernen Flügel bevorzugt, kann diese CD getrost kaufen, aber er sollte sich bewusst sein, dass er nicht nur Werke von Wilhelm Friedemann Bach hört. Aber Fehlurteile scheinen bei diesem Komponisten eine Art Fluch zu sein ... und viele Kollegen haben die c-moll Fantasie für eines der besten Werke W.F. Bachs gehalten.