Die Assoluta
Wie wunderbar, daß es nun die Mono-Einspielung der Lucia mit Maria Callas in einer klanglich so überragenden Aufnahme gibt. Beim ersten Abhören kam es mir vor, als würde ich im Orchester bzw. zwischen den Sängern sitzen. Man kann es gar nicht fassen, wie großartig das digitale Remastering von den Originalbändern geworden ist ... man hört sogar an bestimmten Orchesterstellen das Umblättern der Notenseiten. Es ist wie live! Herrlich!
Aber wenn man erst Maria Callas singen hört, dann scheint, wie bei allen kongenialen Aufführungen großer Musik, die Zeit stillzustehen, so daß die Erlebniszeit zur eigentlichen Zeit wird. Auch Callas' Kunst ist - wie bei allen überragenden Musikern - eine, die Kunst verbirgt, aber nicht im Sinne der Überwindung oder Auflösung technischer Schwierigkeiten, sondern der im orphischen Mythos gedachten Beseelung und Erlösung. Wie auch Giuditta Pasta konnte sie die Unvollkommenheiten der Stimme zwar nicht unhörbar, wohl aber überhörbar und vergessen machen (so Jürgen Kesting in "Die großen Sänger unseres Jahrhunderts").
Die von Serafin dirigierte Aufnahme von Lucia di Lammermoor war Callas' erste Produktion mit dem damaligen künstlerischen Leiter von Angel, die wahrhaftig allerhöchstes Niveau hält. Daran ändert nichts, daß Sutherland oder auch andere Sängerinnen vielleicht ein paar Ornamente und Kadenzen geläufiger exekutierten. Virtuosität liegt ja nicht nur in Flinkheit, erweist sich nicht durch ein paar gelenkige Stunts. Z. B. kann Sutherland zwar durch brillant-rasches Singen verblüffen, aber sie ist fade und ausdrucksarm in langsamen Cantilenen. Aus "Verranno a te" klingt, hat man einmal Callas' sehrenden Tonfall schmerzlicher Liebe im Ohr, bei der Australierin so etwas wie eine Matronen-Emotion. Die Koloratur-Girlanden und die Kadenz-Akrobatik zwischen Stimme und Flöte von "Ardon gl'incensi" als "Ausdruck von Wahnsinn" hat uns erst Callas nahegebracht, nachdem durch vier Jahrzehnte und bis zum heutigen Tage hindurch die Rolle der Lucia an die Glitzertöne der Soprani leggieri gefallen war. Allein durch Maria Callas' Klanggebärde für die Phrase "alfin son tua, alfin sei mia" wird Schmerz hörbar, wie er - um ein Analogon zu finden - in den Pietà-Darstellungen der Renaissance sichtbar ist. Dies allein schon ist eine Ausdrucksleistung nur der Callas. Selbst Kadenz und Cabaletta erlöst sie - durch eine subtile Kunst des Timings - von virtuoser Formelhaftigkeit.
Durch die Farben der Stimme, die Finessen der Diktion, die Formung der Linien hat Maria Callas nicht nur dieser einmaligen Lucia-Aufnahme, sondern j e d e r Rolle ein ganz und gar unverkennbares Gesicht gegeben. Auch stimmlich hat Callas nie nur ein Kostüm getragen, sondern so etwas wie eine Osmose von Rollencharakter und Stimme vollzogen.
Der wunderbare Klang dieser Aufnahme läßt dies alles um so vieles deutlicher hervortreten. Unbedingt kaufen!!!