Das Herzzerreißende der Dinge
Drei Komponisten - drei Persönlichkeiten, wie sie verschiedener kaum denkbar sind. Gustav Holst - ein Macher, der keiner Herausforderung aus dem Weg ging, sich aber manchmal zu sehr nur auf sein Handwerk verließ - so auch hier, wo er etwa beim Psalm 148 eine Melodie aus dem 17. Jahrhundert bearbeitet. Benjamin Britten - auch ein Macher, aber einer, bei dem jeder Text kaum mehr als ein Vorwand für eine selbstbezügliche Theatralik war. Gerald Finzi - ein Künstler, bei dem man fast versucht ist, den taoistischen Grundsatz des Nicht-Handelns, Nicht-Machens als Leitbild zu vermuten. Sein Requiem da Camera ist ein liegengebliebenes Jugendwerk, dank eines glücklichen Manuskript-Fundes rekonstruiert und hier erst- und einmalig aufgeführt. Finzi wollte offenbar auch hier abwarten, ob sich "die Lösung" für seine selbstgestellte Aufgabe gleichsam von selbst einfand - die vier Teile sind für mein Ohr nicht im Gleichgewicht, auch blieb manches stehen, was einer späteren Revision wohl nicht standgehalten hätte. Dennoch ein unersetzliches Werk, eine völlig überzeugende Aufnahme. Finzi verstand nicht nur damals schon unvergleichlich, seine Musik aus dem Text hervorgehen zu lassen, ohne ihm jemals Gewalt anzutun, er war auch bereits dazu fähig, aus fast unqualifizierten Teilmotiven, einem Quartsprung in der Flöte etwa, ein ergreifendes Stück Klage zu machen. Denn darum geht es hier : um die Klage über die Vergänglichkeit alles Irdischen angesichts dessen, was trotzdem Bestand hat an Lebensformen, sogar an gleichsam zeitlosen Stimmungen der Landschaft und menschlichen Gefühlen. Was bei einem Dramatiker heftiger Trauergesang werden müßte, geriet Finzi intimer, aber dennoch oder gerade darum weltumfassend : als Trauer um das Bestehende, das sich hält, während ringsum immer weiter, immer wieder gestorben werden muß. Dies artikuliert anrührend die letzte Strophe des vertonten Textes : "But we, how shall we turn to little things/ and listen to the birds and winds and streams/ made holy by their dreams, / nor feel the heartbreak in the heart of things ? "- ein später europäischer Widerhall des Kopfkissenbuches der Sei Shonagon, die in ihrer scheinstabilen japanischen Hofwelt bezaubert auf das Herzzerreißende der Dinge deutete. Wenn übrigens gesagt wird, Finzis Musik-Sprache sei stets überaus konservativ gewesen, wird vergessen, daß dies die Bedingung war für seine erwähnte Kunst, aus Wenig Viel zu machen, aus keimenden Motiven große gelassene Bewegungen. "How still this quiet cornfield is tonight ! By an intenser glow the evening falls..." so beginnt das, - und Finzi hätte allen Grund zu einer lauten Klage gehabt, hatte er doch bis dahin zwei Brüder und den Vater verloren, und war doch der verehrte Lehrer Ernest Farrar im ersten Weltkrieg gefallen. Dieser scheue Kleinmeister hatte nur eine Sache in die Waagschale zu werfen, aber sie wiegt schwerer als die Lebenswerke der Tausendsassas. - Damit noch ein Wort zu Britten. Seine Vertonung der Geschichte vom Samariter (Cantata misericordium) vermag mir keinerlei Erbauung zu schenken. Es ist wie immer bei ihm : es wird rücksichtslos über den Text hinwegkomponiert, grob illustriert, ein Künstlertum regelrecht vorgeführt, das jegliche Gefühls- und Bedeutungswerte platt und laut veräußerlicht. - Die Sänger und das Orchester sind sehr gut disponiert und geben eine fast vornehm zu nennende Darbietung, Richard Hickox ist wieder einmal für seinen Sinn für Proportionen und Stil zu loben. Gutes dreisprachiges Booklet mit den gesungenen Texten - eine rückhaltlose Empfehlung, freilich nur wegen der 23 Minuten und 46 Sekunden Finzi !