Zeitloses und verkanntes Meisterwerk vom Meister
Damals, 1992, nannte der "Musikexpress" dieses Album zusammenfassend einen "letalen Langweiler" und vergab einen von sechs Sternen. Oder waren es zwei? Allerdings war alles in den 90ern ja langweilig, was nicht nach Nirvana, Pearl Jam oder Soundgarden klang. Aber sind wir deswegen nicht alle Pink Floyd Fans? Pink Floyd? Da war doch mal was... Geplant war es ein wenig früher, vermutlich erhoffte sich Waters im Nachgang zu seinem (optisch grandiosen, klanglich und organisatorisch katastrophalen) "The Wall" Konzert 1990 auf dem noch leeren Potsdamer Platz nach dem Fall der Berliner Mauer endlich wieder Erfolg zu haben. Dieses Album hätte durchaus die Qualität gehabt, "A Momentary Lapse Of Reason" und nachher "The Division Bell" seiner ehemaligen Mitstreiter intellektuell und musikalisch in den Schatten zu stellen. Aber seine Zeit war es einfach nicht. Und das zu Unrecht!
Vom Text her könnte das Album aktueller nicht sein. Damals, wie heute. Die Menschheit verdummt vor dem Fernseher ("Watching TV" im Duett mit Don Henley), vereinfacht, blendet die Realität aus und flüchtet sich in seichte Unterhaltung, hat große Fresse ("The Bravery Of Being Out Of Range"), jubelt fragwürdigen Angriffen zu ("Perfect Sense Pt. 1 & 2) ... die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Eingebettet ist die famose Kritik an der modernen Gesellschaft in ein grandioses Konzept von großer Musik und irren Soundeffekten. Im Prinzip macht Waters auf diesem Album das, wofür man ihn in den 70ern in den Himmel gelobt hat. Und im Prinzip fehlt genau diese bissige Seite auf den Wohlfühlalben der Rumpftruppe, ohne deren Leistungen jetzt schmälern zu wollen. Beide Pink Floyd Alben ohne Roger Waters sind klasse, wenn ihnen auch der große Geist von einst doch ein wenig fehlt. Man muss sich "Amused To Death" allerdings komplett anhören. Dann entfaltet dieses Album seine ganze Wirkung. An den Stellen, wo Waters' Stimme versagt (ja Gilmour war immer der bessere Sänger), übernehmen bekannte Background Sängerinnen, wie Katie Kisoon, die ihren Dienst bei Eric Clapton versah, oder P.P. Arnold). Jeff Becks Gitarre gibt dem ganzen einen Wohlklang, den man auf allen anderen Megasellern der 90er Jahre vergeblich sucht. Auch musikalisch ist dieses Solo Album ein Meisterwerk. Die beiden anderen Alben von Waters sind eher was für Fans. "Pros and Cons Of Hitch Hiking" ist genau wie das letzte unechte Pink Floyd Album "The Final Cut" eine Resteverwertung von "The Wall". "Radio K.A.O.S." ist nett gemeint und entspricht musikalisch dem Sound der 80er, aber es zieht irgendwie nicht. "Amused To Death" entschädigt alles. Ein Gesamtkonzept wie zu besten Zeiten von Pink Floyd und es ist schade, dass Waters auf seinen Tourneen in den letzten Jahren fast ausschließlich nur alte Sachen seiner alten Band spielt. Dabei wäre dieses Album ein tolles Programm für eine erste Hälfte eines Konzerts, die sich mit den heutigen Methoden auch visuell sicher beeindruckend umsetzen ließe. Nur scheint er sich vor seiner eigenen Größe doch zu fürchten. Gilmour tickt da anders; der scheut sich auch nicht, das teils doch etwas langatmige "On An Island" komplett darzubieten. Egal, ob die Fans lieber zum x-ten Mal Comfortably Numb oder Wish You Were Here hören wollen und nur deshalb gekommen sind.
Ich habe das Album seit seinem Erscheinen auf CD. Und auch die Erstauflage hatte einen Klang, der unübertroffen war. Die Vinylpressung überzeugt ebenfalls. Plan, kaum Kratzer, die sich auf Dauer jedoch wegen der starren LP Innenhüllen nicht vermeiden lassen. "The Bravery Of Being Out Of Range" klingt anders, das Stück scheint neu eingespielt zu sein. Die Bässe dröhnen kein Stück, das Klangbild ist außerordentlich ausgewogen. Seinen Reiz spielt das Album jedoch aus, wenn man es sich über einen guten Kopfhörer reinzieht. Das klingelnde Telefon in "Perfect Sense Pt. 3" ist derart authentisch, dass man die bessere Hälfte wirklich fragt, wer denn da gerade angerufen hat.
Fazit: ein grandioses Stück Musik, von der Gesamtkonzeption (lange Songs, Instrumentals, viel Text, keine Pausen) im Angesicht unserer schnelllebigen Zeit sicher nicht mehr zeitgemäß. Aber genau das macht es neben der hervorragenden musikalischen Leistung und der hohen inhaltlichen Aktualität zu einem "Must Have" eines jeden echten Musikfans, für den Musik mehr ist, als eine reine Begleituntermalung beim Zocken mit der PS4.