Hochkarätige musikalische Fundstücke
Bedenkt man wehmütig, dass Julius Katchen, angesehener Pianist und Amerikaner in Paris, einer unheilbaren Leukämie mit erst 43 Jahren erlegen, noch bis in die späten 1990er Jahre hätte konzertieren, Klavier spielen und Aufzeichnen können, bekannten Pianisten-leben im Vergleich, so wird man nur umso dankbarer sein müssen, wenn einzelne und vergessen-produzierte Aufzeichnungen aus den 1960ern wieder ins musikalische Bewusstsein gelangen.
Insofern sind diese 'audite' bzw DLF-Kultur Ausgrabungen, zumal nach 50Jahren!, doch rare Katchen-Funde aus den wohl nach wie vor z.T. ignorierten Archiven der dt. Rundfunkanstalten.
Katchen's Brahms Kompetenz ist ja seit seinen berühmten DECCA-Einspielungen zu recht musikalischer Konsens, die Aufnahmen hier komplementieren diese vor allem mit dem stürmischen frühen es-moll Scherzo, Brahms als Schumann'scher Draufgänger, und recht selten eingespielt, dazu späte Brahms-Stücke, opp.116 und 118, und noch Beethovens c-moll Variationen und das Rondo 'über den verlorenen Groschen', alles überzeugend gespielt.
Jedoch, die Highlights dieser Berliner Katchen-Solos sind fraglos die fulminante Liszt-Sonate und die Chopin-Ballade, Nocturnes ...
Liszts pianistische (wie musikalische) Feuertaufe für seine Epigonen wird hier von Katchen adäquat bestanden, und so kühn erfasst und durchformuliert ausgespielt, das Vergleiche mit dem jungen Horowitz der 1930er, dem Pariser Weissenberg der 1950er und ...? angemessen sind.
Das will was heissen, zumal auch im neueren Vergleich zur toll-kühnen Argerich, zum kühlen Pollini oder dem akribisch tüftelnden Zymerman, selbst zum tiefschürfenden Demidenko.
Katchen spielt Liszt grossartig erfühlt und pianistisch so explosiv umgesetzt, eine musikalische Offenbarung.
Chopins Stücke sind kleine, funkelnde Klanggestalten, höchst subtil gezeichnet, die Ballade allererste Interpretations-Kategorie.
Ein also musikalisch berauschendes Katchen-CD-Doppelalbum, gut ediert und umsichtig versiert kommentiert von Wolfgang Rathert -
Es bleibt jedoch ein dickes ?-Zeichen: warum war die Technik des Westberliner RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) anno 1962-64 nicht in der Lage, eine stereofone oder zumindest räumlich transparentere und weniger kompakt klingende Aufnahme im Lankwitzer Studio zu realisieren - war noch alles so schön mono oder was? gmr.