Verunstaltung eines Klassikers
Die inzwischen schon 30jährige Veronika Eberle kommt aus einer hoch-musikalischen Arztfamilie, bekam früh von Christoph Poppen, dem ersten Geiger des 1980-90er Cherubini-Quartetts, Unterricht und studierte rund zehn Jahre an der Hochschule für Musik und Theater München bei Ana Chumachenco, um nur die Bekannten zu nennen.
Erberles publiziertes Repertoire ist recht überschaubar schmal:
Ein Brahms-Kammermusik-Abend aus Heimbach 2005 mit u.a. Lars Vogt und Christian Tetzlaf und dies Beethoven-Konzert, mit dem sie 2016 in Salzburg unter Simon Rattle mit den BPhil debütierte, der, nach ihrer Angabe, von ihrem Vorspiel zuvor zu Tränen gerührt war - da kommt einem A.S.Mutter mit Karajan in den Sinn, ohne dezidiert vergleichen zu können wollen.
Wie auch immer, die etwas selbstgefällig-unbescheidene Eberle folgte in den Corona-Zeiten dem Angebot aus London mit dem LSO unterm vertrauten Rattle das ihr bekannte B-Konzert aufzunehmen.
Und weil sie dies wie im Schlaf wohl auch sehr ordentlich, aber im Vergleich zu andren nun doch nicht ausserordentlich 'draufhat', kam Eberle der Gedanke, die ihr von Kreisler oder Joachim allzu bekannt gespielten Klassiker-Kadenzen neu gestalten zu lassen.
So war Jörg Widmann, Klarinettist, Komponist und Dirigent, der ihr und Rattle bekannte Mann der Stunde, für beethoven-konforme neue Kadenz-Kompositionen.
Man kann nur sagen, Widmann hat sich heftig in's Zeug gelegt, zumal quantitativ, sodass im kadenzinternen timing man partiell nicht mehr wahrnimmt, ob man Beethovens V-Konzert-Klassiker zuhört oder einer der modernen fusion-Kompositionen.
Ich denke, hier wurde einer a la Schnittke (Kremer) gemeinten Neuerung zuviel des Guten und vor allem stilistisch weniger adäquat des sinnvoll Guten getan.
Beethoven daselbst hat erstmals eigene Solo-Kadenzen für die Transcription seines Violin- zum Klavierkonzert hinzukomponiert, Pauken-Soli eingeschlossen, die manche Geiger, wohl zuerst Schneiderhan in Berlin, übernommen haben.
Kremer unter Harnoncourt, Zehetmair unter Brüggen sind eigene, unkonventionell-plausible Wege gegangen, auch der höchst 'aufgeklärte' Christian Tetzlaf mit David Zinman und dem Tonhalle-Orchester Zürich: "die Beethoven-originalen Klavier- kadenzen lassen die Solopauke mitspielen, aber schneller als im Grundtempo - und, umgeschrieben für die Geige - als militärisch-rhythmische Assoziation und Konsistenz des Kopfsatzes".!
Last but Not at least, musikalisch gebildete Geiger-Grössen wie ein Milstein unter Steinberg haben ihre Kadenzen noch selbst geschrieben, tempi passati, oder Oistrach mehrfach und ein Heifetz zuerst unter Toscanini ein Bestes aus den Kreisler-Konventionen gemacht, auch Frank-Peter Zimmermann neulich mit den BPhil unter Harding: neu-reflektiertes Klassiker-Niveau.
Alles hat seine Zeit - Jadoch, aber auch das reproduzierte, aus dem Vergangenen vergleichende Zuhören ist heutige und zeitlos gegenwärtige Aufklärung !
Das 'Hier und Jetzt' dieses Eberle-Rattle Beethoven-Konzerts klingt wie ein mit turbolader aufgemotztes Klassiker-Vehikel, das beim Aufbrausen der zukomponierten Kadenzen ablenkt von der Schönheit der original schlichten, klassisch ausbalancierten Substanz, die hier auch durchaus klangschön versiert gespielt wird, jedoch zu effekthascherisch und disproportiniert renewed: der olle Oldie Beethoven up-to-date gehypt.
Ein so versierter und von mir als innovativ geschätzter Dirigent wie Simon Rattle hätte m.E. erkennen müssen: that's too much.
Offenbar war er dabei seinen alten musikalischen Wurzeln doch allzu nah: Rhythm is it!