Bach mit dolce-legato Firnis
Schon mit seinem CD-Debut bei Sony, den späten Klaviersonaten Beethovens, wurde Igor Levit nicht nur in musikalisch höchste Umlaufbahnen katapultiert, sondern auch im Markt des PR-Kultur-Gewerbes auf höchster Stufe gehandelt.
Jedoch, ein sog. Jahrhundertalent ist mit Mitte zwanzig keinesfalls noch ein Wunderkind wie andre damals noch jüngere, Pogorelich beispielsweise wie Pollini, Argerich, mit ihren jeweils frühen Debuts.
Die trumpften zwar weniger pianistisch perfekt, jedoch musikalisch allemal anregend frischer, aufregender und auch noch weniger fertig auf. Man war gespannt darauf, wie sie das nächste, grössere Werk meisterten.
Levits Beethoven war sogleich ein Sonatenwurf, eindrucksvoll im finish des pianistischen Schwungs, im Detail der musikalischen Rhetorik und deren syntaktisch heiklen Verbindungen jedoch weniger artikulationsfreudig bzw.aufschlussreich.
Nun folgt Levit mit einem zweiten, pianistisch ebenso anspruchsvollen Bachpaket, einer Sammlung der Bachschen Claviersuiten, den Partiten.
Einmal von den Cembalisten abgesehen, die ja bachspezifische Spiel-bzw Klangtechniken beherrsch(t)en, gibt es wenige Pianisten, die einem Bachidiom zumindest annähernd gerecht werden wie Gould, Gulda, Staier, auch Perahia.
Was macht nun der Steinwayspieler, molto legato-trainierte Igor Levit aus diesem Bach Partiten-Kosmos-?
Er spielt vor allem pianistisch geschönt, molto >cantabile< (>was< Bach allerdings auf das kurzschwingende Cembalo bezog), und ohne rhetorische Ecken und Kanten.
Alle Tanzsätze, Gigue, Gavotta, Corrente, klingen wie in ein tänzelndes Fliessen von dynamischer Ausgeglichenheit. Ein feinsinniges Legatospiel, in dem die spezifischen Tanzfiguren kantenlos eingefügt sind und stellenweise wie eingezoomt im geschmeidigen
Klangfirnis aufklingen.
Wie Bach auch legato, jedoch weniger gepflegt, auch schön, aber dennoch abgestimmt und artikuliert klingen kann, hört man im naheliegenden Vergleich zu Perahia, der die Partiten vor nicht langer Zeit auch für Sony höchst respektabel, souverän und ruhig, ebenso leicht tänzerisch, jedoch differenzierend artikuliert und tiefsinnig eingespielt hat.
Gerade für Bachs polyphone Stimmkonstruktionen ist die artikulierte Gliederung der Motive, das Formgefühl konstituiv und entscheidener für das Verständnis seiner Musik als ein Klanggefühl hinsichtlich einer wie auch immer schönen Darbietung.
Beim Durchlauf von Levits Bach kam mir die durchaus befremdliche Vorstellung von einem Pianisten, der mit Glacéhandschuhen anschlägt, um die kultivierten Musikhörer nicht bei ihrer erhabenen Andacht zu stören.
Ein Bach für Klang-Gourmets.
Womöglich ungerecht gegenüber Levits feinsinniger Spielart, jedoch habe ich weder bei Perahia, geschweige Goulds non-legato Spiel, noch Guldas Ausdrucksvehemenz, also deren doch so verschiedenem Bachspiel auch nur annähernd eine solche Vorstellung von einer leicht konsumablen Bachmusik gehabt, so wie bei Levit.