Bruckner als musikalische Weltsicht
Wer hier Jochums Dresdner Bruckner als 3*-klassig und noch schlechter beurteilt, sollte seine musikalische Kompetenz grundsätzlich und zu Bruckner dringend hinterfragen, denn hier wird durchweg erstklassig musiziert, die sonore Staatskapelle spricht für sich (Bläser und Hornsoli!), und Claus Strüben gewährte immer, selbst für den Soundfreak HvKarajan, einen glaubhaft-realen Sound - (nur ist die Lukaskirch-Akustik doch zu resonant, war nie optimal bei grosser Dynamik, nicht mal für Strüben-Kempe-Anhänger wie ich).
Jochums Bruckner gehört zu den durchweg verbindlichen der frühen Aufzeichnungshistorie der Schallplatte, und sein Dresdner der späten 70er unterscheidet sich nur in Nuancen von seinem Bruckner-DG-Debut der 1950-60er Jahre, damals mit 'seinem' 1949 gegründeten Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Was neuerliche Vergleiche der 3.,4.,5.,7.und 9. Sinfonien betrifft - alle würden den Vergleichsrahmen hier sprengen - erkennt man pauschal, die Zeitmasse fast aller Sätze haben nicht signifikant zugenommen, die Phrasierungen sind dezent prägnanter artikuliert, Tempi und Dynamik kontrastreicher. Jochums Grundhaltung bleibt unverändert und beschreibt grosszügig-pastos eine kühne Klang-Architektur mit betonten Generalpausen, jedoch ohne Effekte aufpolierter Struktur.
Er nimmt den gläubigen Sinfoniker Bruckner sehr ernst, von Kindstagen an und auch als Organist mit dessen Musik zutiefst vertraut, und meinetwg., und durchaus Bruckner-nah, auch mit einem katholisch-weihevoll gefärbtem Klangbild, das ich zwar nicht höre!, allerdings seine durchaus tradiert-konservative Diktion, die heute musikalisch eher strukturell orientierten Sichtweisen als etwas altmodisch und betagt klingen mag.
Doch man empfindet durchweg Jochums tiefgreifende Erfahrung und Souveränität mit diesem Werk, zumal im Vergleich mit jüngeren Interpreten unsrer Zeit, die keinen vergleichbaren Bruckner-Klang generieren können.
Diese originale EMI-Gesamteinspielung gibt es inzwischen auch in Einzel-Ausgaben nach der EMI-Übernahme von 'Warner-Classics', die ich nicht kenne, und die womöglich wiederum klangoptimiert, re-digitalisiert, re-covered und allesamt teurer sind.
Wie auch immer, diese 2te Jochum-Bruckner Gesamtaufnahme ist eine hochseriöse und profunde Darstellung mit einem grossartig klingenden Orchester, die keinen Vergleich mit ebenso zeitnahen Aufnahmen derer von Haitink oder HvKarajan zu scheuen braucht, zumal auch besser ediert auf 9 CDs, mit jeweils einer Sinfonie.