Der eigene Weg
Die Aufnahme der Elften Symphonie von Dmitri Schostakowitsch mit seinem langjährigen Wegbegleiter Mstislaw Rostropowitsch am Pult des London Symphony Orchestra wurde in Konzerten am 21. und 22. März 2002 oder 2003 (die Angaben im Booklet und auf der Hülle sind widersprüchlich) in der Londoner Barbican Hall mitgeschnitten. Das Hauslabel des britischen Weltklasse-Orchesters wirbt mit audiophilem Anspruch und wird ihm in dieser Aufnahme für mein Empfinden auch gerecht. Beim Abhören der 4.1-Surround-Spur sieht man sich in etwa in die hintere Mitte des Parketts versetzt, die Aufnahme gibt die beträchtliche Tiefe und Breite des Raumes realistisch und warm wieder, die hinteren Kanäle werden nicht für Sound-Mätzchen, sondern für die natürliche Wiedergabe der Saal-Akustik genutzt, man wird mit einer hervorragenden Frequenzweite und einer enormen dynamischen Bandbreite erfreut. Die Stereo-CD-Spur fällt qualitativ für meine Begriffe kaum ab, entsprechend lohnt sich vor Anschaffung ein Blick auf die CD-Ausgabe. Publikumsgeräusche höre ich nicht, der Applaus wurde geschnitten. Beste technische Voraussetzungen also, die bei einem so gewaltigen symphonischen Werk wie diesem auch angebracht sind.
Ich kenne den älteren, ursprünglich bei Erato aufgelegten Schostakowitsch-Zyklus Rostropowitschs nicht. Für das LSO-Label hat Rostropowitsch neben der Nr. 11 noch die Nr. 5 und die Nr. 8 aufgenommen. Die Fünfte überzeugt mich mit einem sehr klangsinnigen, nicht explosiven, aber dennoch kraftvollen Ansatz. Auch bei der Nr. 11 geht Rostropowitsch einen eigenen, für sich stimmigen Weg. Besonderes Augenmerk legt er auf die dynamische Abstufung und die Klangregie im Orchester. Die Bandbreite der Dynamik in dieser Aufnahme ist bemerkenswert, wobei vor allem das unheimlich präsente, aber dennoch extrem leise Pianissimo die große Qualität des Orchesters und das Gespür des Dirigenten belegt. Die lauten Passagen bereiten ja ohnehin kaum dynamische Probleme.
Beispielhaft für den Ansatz Rostropowitschs ist der Kopfsatz, ein Adagio; extrem dünn gesetzt, über lange Strecken kaum motivische Entwicklung, äußerst wenig Material, meist in den unteren Registern. Rostropowitsch nimmt den Satz noch dazu extrem langsam, benötigt 20 Minuten, während Kondraschin hier mit gut zwölf Minuten auskommt. Ein solch langsames Tempo ist gewagt, Langatmigkeit die Gefahr. Rostropowitsch jedoch hält die Spannung.
Auch die schnellen Sätze nimmt Rostropowitsch in eher gemäßigten Tempi, überzeugt jedoch mit einer ungeheuren dynamischen Breite, mit gewaltigen Steigerungen und mit drastischen Akzenten, beispielhaft etwa in den tiefen Streichern im zweiten Satz, durchaus aber auch bei den markerschütternden Einsätzen des Schlagwerks im Finale.
Zudem hört man bei Rostropowitsch eine äußerst differenzierte Stimmenbehandlung, exemplarisch bei den Holzbläsern im beginnenden Getümmel der Coda des Finalsatzes. Bei Bernard Haitink etwa in seiner auch beeindruckenden Aufnahme mit dem Concertgebouw Orkest gehen die Holzbläser hier etwas unter.
Insgesamt ergeben sich eine hohe atmosphärische Dichte, starke innere Spannung und nicht überexpressive, aber packende Dramaturgie.
Es verwundert nicht, dass diese Aufnahme von angelsächsischen Kritikern als Platte des Jahres ausgezeichnet wurde!