URSTOFF EINER LEGENDE
REINERS ERSTER ZARATHUSTRA MIT DEM CSO
Die erste Aufnahme Fritz Reiners in Chicago war diese Einspielung des Zarathustra von Richard Strauss. Völlig zu Recht ist die Platte seit langer Zeit eine Legende. Als erste kommerzielle Stereo-Aufnahme (es gab ja schon seit 1932 stereophone Versuche in Amerika und Deutschland, Ende des zweiten Weltkriegs in Deutschland mit beachtlichen hörenswerten Klangergebnissen!) war und ist der Klang sensationell. Noch heute erreichen viele Schallplattenproduktionen nicht die Klarheit, Räumlichkeit und den natürlichen Eindruck dieser 61 Jahre alten Einspielung. Dann das mitreißende Dirigats Fritz Reiners, das kompromisslos entfesselte Orchesterspiel, die klassisch wirkende geschlossene und vitale Konzeption der Interpretation . . .
Nebenbei angemerkt: Spannend und aufschlussreich ist übrigens der Vergleich mit der mehr als acht Jahre später entstandenen Einspielung Reiners mit dem CSO. Die (in jeder Hinsicht) noch stimmigeren Holzbläser, die veränderte Orchesteraufstellung, die etwas ruhigere, mehr lyrische und breitere unaufgeregte Lesart des Werks. Einige Schwächen der ersten Aufnahme wurden beherzigt und besser gelöst, z.B. die weiter unten erwähnte Stelle mit Orchester und Orgel. Diese Aufnahme fristet völlig zu Unrecht ihr Dasein im Schatten der 54ziger Einspielung. Vielleicht würde ein neues Remastering (trotz des XRCD-Transfers, der trotz gleicher Quelle deutlich besser klingt als die VÖ in der Reiner-Box!) dem etwas verhalten dezenten Klang auf die Sprünge helfen. Zurück zur vorliegenden Einspielung:
Die hervorragende SACD-Transfer von Analogue Productions bringt auch wieder die kleinen sympathischen Unvollkommenheiten der 54ziger-Aufnahme stärker hervor: Der im Orchester im ff gestiegene Schlussakkord, der die 'übrigbleibende' Orgel als zu tief erscheinen lässt, ein zwei kleine Intonationsunsauberkeiten im Holz (kurze Zeit später waren ja ein paar neue Orchestermitglieder zu hören) und in ppp-Passagen hört man ganz ganz leise einen Brumm mit Tonhöhe.
Die Aufnahme entstand am 8ten März 1954 in der Orchestra Hall Chicago. John Pfeiffer war der Produzent, Leslie Case war der Toningenieur. Also ist der Urstoff der Living Stereo-Legende keine Mohr-Layton Produktion. Übrigens war dieser Zarathustra die erste Stereoveröffentlichung, die erste kommerzielle Stereoaufnahme entstand jedoch zwei Tage früher: Strauss Heldenleben mit Reiner und dem CSO.
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Gedanken für 'Halbkenner' und Hörer, die einfach neugierig auf die 'Living Stereo' Aufnahmen geworden sind:
Es ist schon erstaunlich, in wie vielen Remasterings einige der Living Stereo Aufnahmen die letzten 30 Jahre erschienen sind. Diese frühen Stereo-Aufnahmen der RCA, besonders die Produktionen mit Reiner / CSO und dem Aufnahmeteam Mohr / Layton sind berühmt und erfreuen sich völlig zu Recht auch in unseren heutigen digitalen Zeiten höchster Beliebtheit und Wertschätzung, und das keineswegs nur aus nostalgischen oder Interpretationshistorischen Gründen.
Nach wie vor ist die Dichte des Klangerlebens, die Lebendigkeit und natürliche Farbigkeit der 2- und 3-Kanal-Aufnahmen nicht wirklich übertroffen worden. Das liegt auch zu allererst daran, dass hier ein m.E. nicht mehr erreichter synergetischer Glückfall von Dirigent, Orchesterklang, Akustik des Aufnahmeorts und eben Tontechnik eingetreten ist.
Gern wird immer wieder im Zusammenhang mit dem Chicago Symphony Orchestra das Wort Perfektion bemüht, wobei zumeist die makellose Intonation und das rhythmisch Zusammenspiel gemeint sind. Mir wäre hier das Wort ERFÜLLUNG wesentlich lieber als PERFEKTION oder PRÄZISION.
Auch wenn letztere Ausdrücke gut zur gängigen Vorstellung von Fritz Reiner als Despoten und Orchestererzieher passen mögen, so geht das musikalische Ergebnis, das Dirigent und Orchester miteinander auf Platte (und noch mehr LIVE) entstehen ließen, weit über solch technische Begriffe hinaus. In der Tat sind die Virtuosität der Musiker, deren Treffsicherheit, Intonation und besonders die Umsetzung der Enharmonik(!) phänomenal. Wer aber pure Lust an metrischer Präzision hat, wird bei Reiner keine Freude haben und sogar hie und da ein 'Klappern' hören (z.B. die zwei Klarinetten im ersten Satz der Rhapsodie Espagnole von Ravel auf der Platte 'The Reiner Sound') . . .
Das Besondere dieser Aufnahmen ist eine Erfüllung der Musik in jedem Sinne: Die Klanglichkeit der Instrumente zeigt alles, was wohl möglich und erträumbar ist. Dann die Virtuosität, welche sich nicht in schnell hoch laut erschöpft, sondern den Sinn und die gewünschte Stimmung eines virtuosen Effekts begreift und ihm dient. Dann alle Relationen: Das Grundtempo in Bezug zum musikalischen Bogen, das Verhältnis der Themen in Ausdruck und Tempomodifikation zueinander, die Balance der Orchestergruppen zueinander und die von Soli zu den anderen Tuttistimmen.
Und dann noch die besondere Spezialität von Reiner: divergierender Dinge, die gleichzeitig geschehen, wobei die Rhythmischen dabei am meisten auffallen. Es kann z.B. die Schlussphrase eines Oboen-Solos das Tempo melancholisch verbreitern, während gleichzeitig das Orchester überschneidend schon wieder accelerierenden frischen Schwung schöpft. Das ist die ungemein verfeinerte alte Kunst des 'gebunden Rubato' (eine im Grunde vergessene Kunst eines Orchesterspiels mit tempomodifizierten, also eher freiem Melodiespiel gegenüber einer strengen Begleitung, wie man es auch von manchen 'alten' Pianisten kennt).
In den Living Stereo Aufnahmen mit Fritz Reiner verbindet sich Tradition im besten Sinne mit einem immer frisch und neu ('modern' ist mir ein zu heikles Wort) wirkenden Musizieren, dessen Phantasie und Klarheit grenzenlos erscheint und so lebendig und natürlich wie möglich aufgezeichnet wurde.
WARUM DIE AUSGABEN VON ANALOGUE PRODUCTIONS ?
Wie schon erwähnt: Mittlerweile gibt es viele Ausgabe der mehr als 50 bis 60 Jahre alten Einspielungen, allein von RCA, dann BMG, dann Sony einige. Anfangs klang das meist recht hart, später weicher aber noch nicht richtig gut in Tiefe und Räumlichkeit aufgelöst und in den letzten SACD bei BMG schon sehr beeindruckend. Allerdings zeigt der Vergleich mit den LSC-Platten doch deutliche Bearbeitungen: ein deutlich aufgeblähter Klang und die Höhen etwas belegt und gezähmt.
Mit den XRCDs von JVC von der Jahrtausendwende wurde erstmals versucht, wieder möglichst getreu den Klang der LPs in den originalen Zusammenstellungen zu präsentieren (in diesem Falle mit einer Spielzeit von 32 Minuten). Die SACDs von Analogue Productions verfolgen ebenso diesen Ansatz samt originalem Cover, originalem Plattentext und 'shaded Dog' als Label der CD-Bedruckung.
Die SACDs von Analogue Productions gewinnen gegenüber den XRCD nochmal deutlich an natürlicher Brillanz des Klangs. Dabei wird aber nichts 'hochgezogen' oder hörbar obere Frequenzen verstärkt. Auf den ersten Eindruck klingen manche dieser SACD (wie auch der XRCDs von JVC) dumpfer oder belegter, was sich aber schnell als das natürlichere Klangbild mit authentischeren Farben erweist.
GEADANKEN ZUM UNTERSCHIED ZWISCHEN ANALOGER LP UND SACD
Die Diskrepanz zwischen Platte und CD/SACD wird immer bleiben, weil bei den Digitalen Medien (zumindest bis jetzt) es nicht möglich ist, das helle Anspringende ohne Schärfe oder Aggressivität zu erzeugen. Ein Beispiel:
Der Beckenwirbel in Fontane di Roma zeigt auf der SACD schön und natürlich das spritzende Wasser, man wird aber nicht davon überschüttet wie bei der LP. Oder die Kastagnetten auf der 'Spain': sie sind auf der SACD sauber klar und unverfärbt abgebildet, klacken dem Hörer aber nicht direkt am Ohr.
Vielleicht erfordert die Bewertung dieser subjektiven Unterschiede ein Umdenken: Das, was die LP als Höreindruck an lebendiger Nähe vollbringen kann ist im Grunde auch eine Illusion, welche anscheinend nur analog möglich ist. Bei der Platte können wir das (im Grunde unnatürliche) Umfangensein real erleben, bei den Digitalen Medien müssen wir mehr selbst dazu tun und 'hinein zu begeben'.
Im Konzert wird uns das durch das Gemeinschaftserlebnis, die realre Raumakustik und das Optische erleichtert. Somit ist die analoge Schallplatte dem KlangERLEBNIS vielleicht näher, der digitale Tonträger aber dem realen KlangGESCHEHEN . . .
EIN PAAR MÄNGEL DER NEUEN SACD-PRODUKTIONEN
Allerdings gibt es auch kleine Mängel des Ästhetischen und Editorischen: Die Logoangaben der Firmen und Technik hätte man auf die Rückseite des Jewelcase beschränken können und die originale LP-Rückseite abdrucken, so wie das heute bei den Originaljacket Ausgaben üblich ist. Die Innenseite des Booklets bietet ja immer für einen Größeren Abdruck bzw. Übersetzung ins Deutsche (die es außer bei der Billigreihe von Sony nie gibt) genügend Platz. A propos Booklet: Bei Analogue Productions ist dieses (wie meist) in diesem Fall nur ein Faltblatt mit zwei Innenseiten! Angaben über Aufnahmedaten, Aufnahmeort, Produzent und Tontechniker gibt es ebenso wenig wie ein Wort zum (ungenannten) Remasterer oder dem Verfahren! Ein paar Worte kann man im Internet dazu lesen, aber warum nicht im Booklet? Erfreulicherweise ist der Originaltext von Analogue Productions (nur im originalen Englisch) abgedruckt, aber warum auch nicht die Erwähnung des Autors?
Das mögen alles Kleinigkeiten sein, aber bei so einer stolzen Ausgabe mit stolzem Preis sollten diese 'Extras' doch selbstverständlich sein! Das hat mich bei der Vergabe von 5 Sternen tatsächlich zögern lassen.
Erstaunlich ist, dass angesichts der Erfahrungen mit den anderen RCA Analogue Productions Ausgaben diesmal dem Werk mehrere Tracks zugewiesen wurden. Auch gibt es diesmal zumindest eine gute Sekunde Vorlauf und einblenden des minimalen Tapehiss vor dem Einsetzen der Musik.
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Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!