Vernunftehe statt Traumhochzeit
Zugegeben: Karl Goldmarks 1. Sinfonie mit dem Titel "Ländliche Hochzeit" ist kein notwendiger Bestandteil einer klassischen CD-Sammlung. Für Kenner, die abseits der Linie Schumann-Brahms auf der Suche nach romantischen Leckerbissen sind, ist das Werk aber interessant. Stilistisch sind die Einflüsse Schumanns (in der Gartenszene), Brahms und auch Berlioz unverkennbar (das erklärt die drei Punkte für den Repertoirewert).
Wer Goldmarks Hauptwerk kennenlernen will, steht vor der Frage, welche Einspielung er nehmen soll. Es gibt ältere, hörenswerte Aufnahmen mit Bernstein und den New Yorker Philharmonikern und mit Abravanel und dem Utah Symphony Orchestra. Zu den (inzwischen nicht mehr so ganz) neuen Einspielungen zählt die vorliegende Naxos-Produktion mit Gunzenhauser und dem National Symphony Orchestra of Ireland aus dem Jahr 1993.
Um es kurz zu machen: Ich besitze diese Einspielung seit 1999 und bin nie damit warm geworden. Zum 22. Hochzeitstag kam mir die Idee, das Werk mal wieder aufzulegen. Trotz einer ganzen Reihe eingängiger Motive und tänzerischer Heiterkeit hatte ich erneut das Gefühl: Irgendetwas fehlt mir bei dieser Einspielung. Also habe ich mir (endlich mal) die Mühe gemacht, der Sache auf den Grund zu gehen. Also verglich ich die ältere (in den frühen 1960er Jahren aufgezeichnete) Aufnahme mit Abravanel und dem Utah Symphony Orchestra Satz für Satz mit Gunzenhauser. Interessant dabei: Die Spieldauer ist fast identisch und doch vermittelt Abravanel ein stimmungsvolleres und abwechslungsreicheres Bild. Fast über die gesamten gut 42 Minuten Spieldauer hinweg werde ich den Eindruck nicht los, dass Gunzenhauser eher eine nüchtern-sachliche Interpretation des Werkes abliefert, während Abravanel - ohne dabei sentimental oder euphorisch zu werden - viel tiefer in die Stimmungen der fünf Sätze eintaucht. Das beginnt schon im variationsmäßig strukturierten 1. Satz. Gunzenhauser zeichnet den Hochzeitsmarsch in vielen Variationen weich, die Interpretation wirkt weniger akzentuiert als bei Abravanel. Dieser bietet mehr musikalischen Fluss bei gleichem Tempo. Ziehe ich die ebenfalls neuere Einspielung (von 2008) mit Gerd Schaller und der Phiharmonie Festiva hinzu, bestätigt sich mein Eindruck. Obwohl Schaller etwas langsamere Tempi wählt, spricht er mich durch die stärkeren Akzentuierungen ebenfalls mehr an als Gunzenhauser. Im 2. Satz, dem Brautlied, wählt Gunzenhauser einen vergleichsweise behäbigen Ansatz. Eine besondere Euhporie kommt bei der Braut da nicht auf. Das gilt auch für die als Scherzo bezeichnete Serenade. Scherzo und Serenade mag ein Widerspruch in sich sein. Gunzenhauser entscheidet sich für das Serenadenhafte, während Abravanel und Schaller auf mehr Scherzo-Feeling setzen. Gunzenhausers Stärke kommt erst im 4. Satz zum Tragen. Die Szene im Garten ist zweifellos der Höhepunkt der Interpretation Gunzenhausers. Hier überzeugt seine Interpretation voll. Überaus stimmungsvoll und ergreifend werden hier die Anklänge an Schumann (ich fühle mich stark an dessen 2. Sinfonie, 3. Satz: Adagio espressivo erinnert) unüberhörbar. Das bieten weder Abravanel noch Schaller, obwohl letzter ein deutlich gemäßigteres Tempo anschlägt. Hier packt mich die weichere, gleichmäßigere Herangehensweise Gunzenhausers. Es stellt sich eine sehnsuchtsvolle und liebliche Stimmung ein, die mich als Hörer noch einmal innehalten lässt, bevor der Trubel im Finale seinem Höhepunkt zusteuert. Beim Finale (Tanz) stellt sich dann wieder das gewohnte Bild ein: Gunzenhauser geht zwar auch mit Esprit an den Satz, er akzentuiert aber weniger und wirkt weniger ausgelassen. Vor allem die Wiederkehr des Hauptthemas aus der Gartenszene bremst im Finale den Spielfluss. Das wirkt bei Schaller einfach flüssiger.
Ein wichtiges Kritierium zugunsten Schallers ist auch das Klangbild. Die Naxos-Aufnahme ist zufriedenstellend, die neuere Hänssler-Produktion bietet ein wesentlich brillianteres Klangbild. Sie ist allerdings auch teurer.
Fazit: Wer in Goldmarks Ländliche Hochzeit eintauchen möchte, ist mit der Schaller-Einspielung eindeutig besser bedient als mit Gunzenhausers Darbietung. Die ebenfalls empfehlenswerte Einspielung mit Abravanel ist leider derzeit nicht im jpc-Programm. Die kann man aber im Netz nachhören.