Plädoyer für eine Fälschung
Wer von uns Zeitgenossen weiß tatsächlich etwas über Franz Schuberts Toleranz oder Humor? Empfinde ich eine im Radio eine gehörte Aufführung eines klassischen Stücks im Nachhinein als besser oder schlechter, wenn ich durch die Absage die ausführenden Interpreten weiß? Macht sich Genialität oder die Fähigkeit zum geistvollen musikalischen Augenzwinkern an großen Namen fest? Wollen wir eine in Breite und Tiefe lebendige Kulturlandschaft oder genügt uns die Spitze des Eisbergs?
Scheinbar unzusammenhängende Fragen ...
GEDANKEN ZUR REZEPTION DES WERKS
Wer die Musik Schuberts (natürlich besonders die entsprechenden "zitierten" Stücke) kennt, kann angesichts der „Verarbeitung“ durch Gunter Elsholz den Hut ziehen oder auch sich amüsieren - wer sie nicht kennt, kann sich einfach an der Sinfonie E-Dur (nicht zu verwechseln mit dem echten Schubert von 1821) erfreuen. Wie getroffen ist der Verweis eines Rezensenten bei JPC auf den Kompositionswettbewerb von Columbia von 1928, bei dem Werke „im Geiste Schuberts“ gefordert waren. Es ist dazuzusetzen, dass uns heute dieser Mut eines (naiven? - was ja nicht „geistlos“ bedeuten muss) Anknüpfens an die Tradition abhanden gekommen ist …
Warum nun engstirnig sein, wenn doch ganz offensichtlich ist, dass das Werk „Sinfonie E-Dur“ ein "Konstrukt" ist und nicht von Franz Schubert stammt? Dass es kein Originalstück von Schubert ist, hat bestimmt auch vor der Enttarnung der Dirigent Gerhard Samuel gewusst. Zu mannigfaltig sind die Zitate und Übernahmen von Themen, zu ähnlich der Aufbau der einzelnen Sätze, z.B. zur „Großen C-Dur“. Ich finde es mutig von Samuel (man bedenke seine Reputation!), dass er das im von ihm selbst verfassten Textheft nicht erwähnt. Er will bewusst keine Distanz zu Werk und Autor schaffen und nichts relativieren oder abwerten! Er ehrt den Autor und das Stück - wie „ernst“ man das Ganze auch immer nehmen mag.
Und das ist ein weiterer Punkt: Braucht alles einen Aufkleber mit Herkunft und Verfallsdatum? Lassen wir uns doch verunsichern, lassen wir Hypothetisches zu - lassen wir unsere eigene Phantasie spielen, spüren wir dem Sinn der "baren Münze" nach - nämlich dem PERSÖNLICHEN Wert, den ein Musikstück (oder irgendetwas anderes im Leben) für uns hat - jeder für sich! Ich für meinen Teil kümmere mich in meiner Affinität zu Werk und Komponist nicht darum, wie deren Rezeption durch die Musikwissenschaft ausfällt.
Und bei wie vielen hoch anerkannten Werken hat sich nach Jahrzehnten / Jahrhunderten eine andere Autorenschaft herausgestellt als anfangs angenommen (z.B. J.Haydn - L. Mozart - Hofstetter) ... ?
ZUR AUFFÜHRUNG
Eine wunderbare Aufführung, stimmig und stimmungsvoll dirigiert, klangschön gespielt und sehr gut aufgenommen! Das Besondere der Aufführung ist das Orchester - ein Studentenorchester! Ich denke, wer mit offenen Ohren hört, wird darüber verblüfft sein. So etwas gibt es in dieser Qualität bei unseren deutschen Hochschulen noch nicht mal im Ansatz …
Gerhard Samuel, der mutige und neugierige Entdecker hat übrigens mit diesem Cincinnati Philharmonia Orchestra auch die „Universe-Symphony“ von Ives und die erste Aufführung der Sinfonie E-Dur von Hans Rott bei Hyperion auf Platte gebannt - und letztere immer noch ganz vorne bei den mittlerweile ca. 10 Einspielungen dabei!
MEIN EINZIGER KRITIKPUNKT
Das Label Centaur hat es versäumt, eine Neuauflage der sehr schönen Einspielung vorzulegen - mit den tatsächlichen Angaben (Komponist / Arrangeur: Gunter Elsholz) und der interessanten Rezeptionsgeschichte von Werk und Aufnahme. Das hätte viel von der doch im Nachhinein entstandenen Peinlichkeit genommen – für alle Beteiligten. So hätten Autor, Werk, Dirigent und Label Geschichte schreiben können: Nicht nur als Eulenspiegelei wie bei den Hitler-Tagebüchern, sondern als ernsthaft-launiger Beitrag zur Wahrnehmung von Musik …