Berliner Großbürgertum des 19. Jahrhunderts – für mich leider ohne jedwede Spannung und Gefühl. Eine Enttäuschung.
Buchinhalt:
Berlin gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Paula wächst auf als älteste Tochter der jüdischen Familie Oppenheimer. Das Leben im Großbürgertum der damaligen Zeit sieht für das Mädchen klare Grenzen vor, was ihre Zukunft betrifft. Als sie 16 Jahre alt ist, nimmt ihre Tante Auguste das Mädchen unter ihre Fittiche, von ihr erhält sie höhere Bildung und die Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen. Über den jüngeren Bruder Franz kommt Paula eines Tages in Kontakt mit dem jungen Dichter Richard Dehmel. Wird sie mit ihm das Glück erfahren, nach dem sie sich in ihren Jungmädchenträumen immer gesehnt hat?
Persönlicher Eindruck:
Schauplatz des neuen Romans von Ulrike Renk ist Berlin im ausgehenden 19. Jahrhundert, das Großbürgertum, die Familie des Rabbiners Oppenheimer. Bildhaft beschrieben nimmt die Geschichte ihren Leser mit in eine Zeit, in der Standesgrenzen noch genau unterschieden wurden, jeder Haushalt, der was auf sich hielt, eine Köchin und Dienstmädchen hatte. Das Leben der Epoche wird mehr als deutlich, der reformiert-jüdische Haushalt der Oppenheimers zum zentralen Schauplatz.
Uneingeschränkte Hauptfigur der Geschichte ist Paula, die Älteste von vier Kindern. Das innigste Verhältnis unterhält sie zu Franz, dem jüngeren Bruder, ansonsten weiß das Mädchen nicht wirklich, was die Zukunft mit ihr vorhat oder was sie vom Leben erwartet – bis eines Tages ihre Tante Auguste sich ihrer annimmt. Bei Tante Guste ist Paula angehalten, über sich und ihre Wünsche zu reflektieren, ja nahezu philosophisch alles, was sie denkt, fühlt und tut, zu hinterfragen.
Klingt alles erst mal recht gut und vielversprechend. Dennoch ist der Funke nicht übergesprungen, die Geschichte konnte mich nicht mitreißen. Den Ausschlag gaben folgende drei Punkte der Handlung:
Punkt 1: Das befremdlich innige Verhältnis von Bruder und Schwester, also von Fritz und Paula. Ständig ist die Rede von „Seelenbruder / Seelenschwester / herzallerliebstes Paulalein / allerliebster Fritz“. Ich empfand diese Nähe absolut nicht normal, auch nicht im 19. Jahrhundert. Schlimmer jedoch war die endlose Wiederholung dieser Floskeln. Irgendwann hat es jeder Leser begriffen. Danach nervt es einfach nur noch.
Punkt 2: Die fehlende Vermittlung von Gefühlen. Die Geschichte vermochte es nicht, mir auf 500 Seiten irgendeine Emotion zu vermitteln. Erst recht nicht bei der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen Paula und Richard in der zweiten Hälfte. Das fand ich jammerschade: ich hätte gerne teilgehabt in ihrer Liebe, die ich beim Lesen aber überhaupt nicht fühlen, nicht erspüren konnte.
Punkt 3: Die ewige Wiederkehr des Gleichen. Der Roman beschreibt durchaus überzeugend das Leben der Menschen der damaligen Epoche. Das hat mir ohne Frage gut gefallen – aber es passiert leider immer wieder dasselbe, die Handlung dreht sich weite Strecken immer und immer im Kreis. Wer hier quer liest, hätte sicher nichts verpasst – ich tat es nicht, auf der Suche nach Raffinesse und Spannung, die aber leider nicht kam.
Insgesamt sollte man erwähnen, dass es sich bei dem Plot um eine Mischung aus historisch verbürgten Personen und Tatsachen und einer (halb-)fiktiven Romanhandlung handelt. Ein durchaus spannender Ansatz mit Potential. Die Oppenheimers waren real, auch Dehmel und viele Weggefährten, die im Buch Erwähnung finden. Ein ausführliches Nachwort gibt Informationen zur Recherche der Autorin.
Leider schafft es Ulrike Renk in meinen Augen nicht, richtige Spannung zu erzeugen, geschweige denn 500 Seiten lang aufrecht zu erhalten. Wenn ich ehrlich bin, hätte man das Ganze in der Hälfte auch erzählen können.
Ich hatte wirklich große Erwartungen an diesen Roman, die leider so nicht erfüllt wurden. Es lag jedenfalls nicht an der Art, wie sich die Kreise rund um Literaten des 19. Jahrhunderts gaben oder ausdrückten. Vieles war für meinen Geschmack einfach zu hölzern.
Trauriges Fazit: Mein Genre, aber nicht mein Buch. Ich war enttäuscht.