Roman mit zwei Zeitebenen, leider sehr oft hanebüchen und mit einer unsympathischen Hauptfigur. Eine Enttäuschung.
Buchinhalt:
Als ihre Großmutter Lene einen Oberschenkelhalsbruch erleidet, reist die junge Witwe Mel in den Westerwald, um Lene zu pflegen. Auf dem alten Bauernhof erzählt Lene Mel ihre dramatische Lebensgeschichte...
Persönlicher Eindruck:
„Der Windhof“ erzählt die Geschichte zweier Frauen aus dem Westerwald, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen ist da Mel, die Enkeltochter – früh verwitwet und in meinen Augen krankhaft in ihrer Trauer sowie Lene, ihre fast 90jährige Großmutter, die alleine auf dem alten Bauernhof der Familie lebt und seit einem Sturz ans Bett gefesselt ist. Es ist ihre Lebensgeschichte, die Mels Abneigung gegen den Hof und das Dorf langsam schwinden und das Dorfleben zur Zeit des Zweiten Weltkrieges lebendig werden lässt.
Das klang für mich vielversprechend. Eine Geschichte auf zwei Zeitebenen, zwei Frauenschicksale, die zunächst völlig unterschiedlich doch eine Menge Gemeinsamkeiten entdecken lassen. So weit so gut. Leider konnte die Geschichte meine Erwartungen nicht erfüllen.
Mel als eine der beiden Hauptfiguren ist egoistisch und selbstsüchtig. Sie zelebriert in nahezu krankhafter Weise einen Trauer- und Glorifizierungs-Wahn um ihren vor zwei Jahren bei einem Unfall verstorbenen Mann David. Die gemeinsame Wohnung ist wie ein Schrein mit Fotos des Toten ausstaffiert und Mel suhlt sich buchstäblich in ihrem Leid. Und dabei erwartet sie von allen in ihrem Umfeld Mitgefühl und Verständnis für ihre Situation, ist selbst aber in keiner Weise zum Mitgefühl anderen gegenüber fähig. Als sie von der Mutter erfährt, dass die Großmutter das Bein gebrochen hat und fortan Hilfe braucht, ist ihre erste Reaktion nur ein genervtes Schulterzucken und Abwehrhaltung mit dem Kommentar: „Und was geht mich das an“. Mel war mir durch und durch unsympathisch. Warum der Plot hier 75 Seiten braucht, um dem Leser Mels pathologisch inszenierte Trauer zu vermitteln, erschließt sich mir nicht – ich war eher abgeschreckt.
Lene als zweite Hauptfigur machte auf mich größtenteils einen besseren Eindruck. Die alte Frau ist mürrisch und ein Eigenbrötler, aber in ihr liegt einfach der interessantere Teil des Plots verborgen. Ihre Lebensgeschichte aus den 30er Jahren und der Kriegszeit, die dem Leser anhand von Rückblenden leider immer nur bröckchenweise serviert wird, hätte das Potential, für sich alleine einen authentischen, fundierten Roman zu liefern. Das Ganze leidet für meinen Geschmack aber unter der uninteressanten Gegenwartserzählung, die ich gegen Ende fast versucht war, nur noch zu überfliegen.
Viele Passagen des Romans empfand ich einfach an den Haaren herbeigezogen: beispielsweise Noah, den Hausarzt von Oma Lene, der mit seinem distanzlosen Verhalten (er duzt seine Patientin und sogar Mel, die er auch gleich noch zum privaten Essen einlädt) mehr als unprofessionell rüber kommt und so einfach nicht glaubhaft ist. Auch Mels Ausfragerei nach Noahs Familiengeschichte wird ohne Murren von ihm beantwortet – sowas ist in einem Arzt-Patienten-Verhältnis (das übrigens auch die Patientenangehörigen mit einschließt) einfach so nicht denkbar und auch überhaupt nicht glaubwürdig.
Natürlich ist relativ vorhersehbar, dass Mel und Noah ein Paar werden, wenn auch mit einigem Hin und Her. Da verrate ich wahrscheinlich nicht zu viel. Wie es dazu kommt, ist allerdings vollkommen hanebüchen und passt zu dem vielen Widersprüchen und Merkwürdigkeiten im Gesamtkonzept.
Der historische Teil jedoch hätte wie gesagt viel mehr Potential gehabt, welches die Autorin aber größtenteils verschenkt, weil sie sich nicht auf eins konzentriert sondern mit dem Roman auf zu vielen Hochzeiten tanzen will. Bedauerlicherweise konnte mich der Roman überhaupt nicht emotional berühren oder mitnehmen: die Figuren blieben durchweg blass und fremd und ohne jegliches Identifikationspotential.
Fazit: Der historische Teil gefiel mir recht gut, war vor allem gegen Ende spannend. Hier hätte ich mir mehr Tiefe, Detailreichtum und eine weitere Ausarbeitung der Geschichte gewünscht. Mels Gegenwartsgeschichte war für mich dabei weitgehend ein Fremdkörper und Störfaktor, vom Roman als Ganzes war ich leider enttäuscht.