Durch seinen übersinnlich okkulten Touch bestechender, um Geister und Seancen kreisender historischer Roman
Zum Inhalt: Wenige Monate nach dem Tod ihrer Schwester Evie ist Lenna von London nach Paris gereist, um das berühmte Medium Vaudeline D'Allaire, das auf die Aufklärung von Verbrechen spezialisiert ist, um Hilfe zu bitten. Obwohl Lenna weder an Geister noch an eine greifbare Wirkung von Seancen glaubt, möchte sie nichts unversucht lassen, mit Evie in Kontakt zu treten, um den Namen ihres Mörders zu erfahren. Denn der Polizei ist es nicht gelungen, Fortschritte in Evies Fall zu erzielen, in den sie nur wenig Aufwand investiert hat, so dass ihr Mörder noch auf freiem Fuß ist. So wurde Lenna zu Evies Gehilfin, um die Kunst der Seance von ihr zu erlernen. Doch bereits die erste Seance, der Lenna beiwohnt und die von Vaudeline in einem verlassenen Chateau für ein Ehepaar abgehalten wird, dessen Tochter von ihnen gegangen ist, nimmt eine gänzlich unerwartete Wendung.
Zur Charakterisierung von Hauptfigur Lenna Wickes und der Beziehung zu ihrer Schwester Evie
An Geschwistern hatte Lenna nur ihre verstorbene Schwester Evie. Beide haben tagsüber in dem kleinen Hotel, das ihre Eltern in London besitzen, ausgeholfen, um sich in der darüber hinaus verbleibenden Zeit ihren Leidenschaften zu widmen. Dabei ist Lenna, die ausschließlich an das glaubt, was sie sehen und anfassen kann, über den Bruder ihrer Freundin Eloise an Fossilien herangeführt worden. Ihre Begeisterung dafür, die in der Sammlung und Untersuchung von Steinen aller Art besteht, ist durch ein Geschenk von Stephen in Gestalt eines Bernsteins in ihr geweckt worden, mit dem er eigentlich um Lenna werben wollte.
Evie ist da ganz anders als ihre Schwester. Das beschränkt sich nicht nur auf ihre äußere Erscheinung, die im Gegensatz zur feminin geratenen Lenna eher burschikos ausgefallen ist, und ihren Charakter, indem Evie sich wenig um Konventionen schert und Regeln nur dann einhält, wenn ihr das beliebt, sondern bezieht sich darüber hinaus auf deren Interessen. Denn Evie hegt eine Leidenschaft für das Okkulte, dem sie sich mit Hingabe in ihren Studien gewidmet hat. Auch ist sie überzeugt davon gewesen, übersinnliche Fähigkeiten und insbesondere eine Begabung als Medium zu besitzen. Diese Unterschiede haben dadurch bedingte MIssverständnisse nach sich gezogen und mehr als nur einen Streit zwischen den ungleichen Schwestern, die sich im Hotel ihrer Eltern ein Zimmer geteilt haben, provoziert. Nach dem Tod von Evie leidet Lenna darunter, dass sie sich nach deren letzten Wortgefecht nicht mehr bei ihr entschuldigen konnte. Und da Lenna einige Jahre zuvor bereits den Verlust ihrer geliebten Freundin Eloise zu verkraften hatte, ist ihr Leben davon geprägt, was sie zum Medium Vaudeline geführt hat, die eine ehemalige Lehrmeisterin von Evie ist.
Zum übersinnlichen, um Geister und Seancen kreisenden Kern dieses Romans
In passender Weise zum thematischen Schwerpunkt, den Sarah Penner für ihren Roman gewählt hat, wird dieser von einer Übersicht über die sieben Phasen einer Seance eingeleitet. Diese beginnen mit einer Teufelsinkantation und einer Invokation, auf die Isolation und Invitation folgen, um über Trance und Denouement mit der Termination abzuschließen. Ergänzt wird das von zusätzlichen Ausführungen, die unter anderem Hinweise und Risiken mit einschließen, die im Zuge einer Seance zu beachten sind, um sich selbst und deren übrige Teilnehmer zu schützen. Diese Inhalte werden Lenna im Rahmen ihrer Ausbildung von ihrer Lehrmeisterin Vaudeline vermittelt. Darüber hinaus werden verschiedene Arten von Seancen unterschieden und damit einhergehende Punkte erläutert, was etwa anhand von Beispielen erfolgende Ausführungen zum automatischen Schreiben umfasst.
Dabei gelingt es Sarah Penner auch dank der Perspektive der skeptischen Lenna, die nicht an Geister glaubt, die Balance zu wahren. Denn beide Seiten werden dadurch beleuchtet, dass Lenna in sich gespalten ist, weil sie sich die Existenz von Geistern sehnlichst wünscht, um Evies Mörder überführen zu können. In stimmiger Weise wird dieser in Lenna herrschende Konflikt von Erklärungen in Bezug auf Methoden ergänzt, die bevorzugt bei Scharlatanen unter den Spiritisten zum Einsatz kommen, wenn diese ihre Kunden hinters Licht führen. Dazu zählen beispielsweise lumineszentes Phosphoröl oder die doppelte Belichtung, die auf Fotografien geisterhafte Erscheinungen zum Leben erwecken kann.
So ist meiner Ansicht nach zumindest ein grundlegendes Interesse an der Thematik des Okkulten wie beispielsweise dem detaillierten Ablauf einer Seance erforderlich, um gerade die erste Hälfte dieses Romans genießen zu können, dessen Schwerpunkt darauf liegt. Andernfalls könnte dessen Beginn recht zäh ausfallen. Denn auch mit der titelgebenden “geheimen Gesellschaft” ist die Londoner Séance Society gemeint, die einen exklusiven Herrenclub darstellt. Dessen Mitglieder verfügen über übersinnliche Fähigkeiten, die sie bevorzugt der Londoner Upper Class, in deren Kreisen sie verkehren, gegen ein entsprechendes Honorar anbieten.
Zur in diesen Roman integrierten Crime-Handlung
Zu Beginn lag mir der Fokus “Der geheimen Gesellschaft” zu wenig auf den dann bereits angeführten Todesfällen, da Sarah Penner sich mehr auf ihre okkulte Thematik und das damit einhergehende Drama, das im Verlust eines geliebten Menschen begründet liegt, fokussiert hat statt sich auf die eigentliche Aufklärung der Morde zu konzentrieren. Diese hätten jedoch von Anfang an dadurch stärker in die Handlung integriert werden können, dass schon zu diesem Zeitpunkt unter anderem auf die bereits von Vaudeline gelösten spektakulären Fälle eingegangen worden wäre, die in der vorliegenden Form nur als Tatsache am Rande erwähnt werden, um den Fortgang der Handlung zu erklären. In dieser frühen Phase hätte dem Roman gut getan, wenn die Autorin dem Verbrechen als solches, das etwa Anlass für die erste Seance ist, an der Lenna in Paris teilnimmt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Erst im weiteren Verlauf nimmt “Die geheime Gesellschaft” dann Fahrt auf, wenn die Aufklärung des Mordes an Lennas Schwester Evie mehr in den Mittelpunkt der Handlung rückt.
Mein Fazit
Für "Die geheime Gesellschaft" hat Sarah Penner eine ungewöhnliche Kombination gefunden, da sie sich einer okkulten Thematik widmet, die um Geister und Seancen kreist. Ergänzt wird das von einer in diesem Kontext angesiedelten Crime Handlung, deren darin begründetes Drama in historischem Setting mit übersinnlich angehauchten Touch diesem Roman erst Intensität verleiht, bevor die Handlung in seinem weiteren Verlauf an Fahrt aufnimmt. Dabei fügen sich dessen so unterschiedliche Komponenten, die für meinen
Geschmack nicht in der vorliegenden Form hätten gewichtet sein müssen, wenn es gerade zu Beginn vielleicht ein bisschen weniger Soap Opera hätte sein können, zu einem erstaunlich harmonischen Ganzen. Besonders überzeugt hat mich die Autorin mit der detaillierten Ausarbeitung der im Kern ihres Romans behandelten Thematik rund um Seancen und mehr, mit der sie auch persönliche Erfahrung zu haben scheint, wie die persönlich ausfallende Widmung "Der geheimen Gesellschaft" bereits angedeutet hat.