Das unterdrückte Genie
Die Geschichte ist leider voll mit Frauen, die wegweisend waren, aber ihre Leistungen entweder einfach gestohlen oder zumindest nicht entsprechend gewürdigt wurden. Nur wenige Ausnahmen in der Wissenschaft erhoben sich über das Patriarchat. Dies gelang aufgrund großer Willensstärke, Selbstbewusstsein oder Unterstützung durch, genau, Männer. Viele andere Frauen vollbrachten im Verborgenen Pionierleistung und wurden, wenn überhaupt, viel zu spät entsprechend anerkannt. Der Film „hidden figures“ zeigte endlich einem großen Publikum, dass ohne die weiblichen mathematischen Genies die moderne Raumfahrt gescheitert wäre. Ähnliches gibt es aus vielen anderen Bereichen zu berichten. Die ersten Computer wurden zwar von Männern gebaut, aber die Programmierung mittels Lochkarten war Frauensache. Auch wurde die erste funktionierende Struktur des Internets, um eine vernünftige Ordnung und Suchmöglichkeit zu erschaffen, von Frauen angelegt. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit einer Frau, die erst 50 Jahre nach ihrem Tod mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet wurde. Der ihr eigentlich zustehender Nobelpreis wurde hingegen drei Männern verliehen, deren Namen in Verbindung mit der Entdeckung der DNA genannt werden, die aber tatsächlich diesen Preis „gestohlen“ haben. Dieser beeindruckenden Frau ist dieses Buch gewidmet. Das Leben der Dr. Rosalind Franklin wird aus der Ich-Perspektive erzählt. Das führt natürlich zwangsläufig dazu, dass die weibliche Sicht der Autorin zum Tragen kommt und möglicherweise gewisse Eigenheiten der Protagonistin zugeschrieben wurden, die so vielleicht gar nicht vorhanden waren. Benedict schreibt in ihrem Nachwort von der Inspiration durch das Buch von Anne Sayre. Ob sie auch die vermutlich bessere Biografie von Brenda Maddox zu Rate gezogen hat, weiß ich nicht. All die charakteristischen Eigenheiten der Forscherin lassen sich vermutlich nur dann erkennen, wenn man alle Quellen als Grundlage nimmt, dazu gehören natürlich auch die Schriften der Konkurrenz. Dies ist für das verstehen der Lebensgeschichte sogar von enormer Bedeutung. Gerade die teilweise sture und eigensinnige Art der Franklin sorgte dafür, dass ihr Ruf nicht gerade der beste war. Ihre Ablehnung des Wettstreites in wissenschaftlichen Kreisen wirkt zumal naiv. Wettstreit und Konkurrenz waren und sind immer integraler Bestandteil der Wissenschaft, was natürlich eine gegenseitige Unterstützung nicht ausschließt. Sei es die Evolutionstheorie, dass heliozentrische Weltbild oder eben die Struktur der DNA, immer gab es konträre Meinungen, bis zur Verleumdung und Anfeindung. Im Falle Rosalind Franklin kam natürlich die feministische Seite zusätzlich zur Geltung, eine Frau, die den Männern Paroli bietet, wurde im Allgemeinen nicht gerne gesehen. Die positiven Gegenbeispiele und Unterstützer werden im Buch hinreichend gewürdigt. Deshalb spreche ich auch nicht von einem verborgenen Genie, denn das war die Arbeit der Franklin durchaus nicht. Vielmehr wurde ihr Genie aus Konkurrenzneid und Hass unterdrückt oder kleingeredet. Wissenschaft ist auch immer ein Kampf um Anerkennung und finanzielle Mittel, ein Wissenschaftler, der nicht veröffentlicht, findet nicht statt. Deshalb kommt es immer wieder zu Fälschungen, voreiligen Präsentationen oder wie in diesem dreisten Fall, zu regelrechtem Diebstahl. Dass Rosalind Franklin erst viele Jahre nach ihrem zu frühen Tod gewürdigt wurde (allerdings nicht ausreichend) und ohne dass dies große Beachtung fand, zeigt, dass die geschlechtsspezifischen Vorbehalte noch längst nicht gebannt sind. Das macht dieses Buch wichtig, auch wenn ein Roman natürlich viel Interpretationsspielraum lässt. Auch merkt man der Autorin an, dass sie im hier und jetzt lebt. Das Versetzen in vergangene Zeiten ist schwierig. Auf Seite 74 wird das sehr deutlich, wenn eine Person der damaligen Zeit über On-Off-Beziehungen spricht, ein Begriff, der erst Mitte der 2000er auftauchte. Auch bemüht sich die Autorin, wie viele andere leider auch, zu sehr mit ihren Kenntnissen der französischen Sprache zu punkten. Im Teil eins, der in Paris handelt, wird etwas viel „labo“ und „chercheurs“ zu Papier gebracht. Wenn stattdessen Labor, Institut, Einrichtung oder Forscher, Wissenschaftler und Kollegen verwendet worden wäre, läse sich das Ganze etwas angenehmer. Das fällt im Übergang zu Teil 2 (London) direkt auf. Ansonsten liest sich dass Buch sehr gut, der wissenschaftliche Anteil ist angemessen und erklärt zumindest rudimentär, in welch komplexen Bereich die Forscherin tätig war. Traurig stimmt den Leser das frühe und teils selbstverschuldete Ende der Wissenschaftlerin, die vielleicht noch mehr großartige Arbeit geleistet hätte. Die damalige Ahnungslosigkeit, Naivität und Ignoranz der gefährlichen Strahlung sollten angehenden Wissenschaftlern eine Mahnung sein.
Marie Bendict setzt mit diesem Buch ihre großartige Reihe über verkannte, unbekannte oder zu wenig beachtete Frauen fort und man darf gespannt auf die Fortsetzung sein.
Dies ist eine Privatrezension eines Hobbylesers, ohne KI erstellt und ohne jeglichen Bezug zu Autorin oder Verlag.