Tolles Buch, aber schwierige Einordnung von Fakten und Fiktion
Das Buch schildert die Studienjahre von Mileva Marić in Zürich, in Rückblenden auch ihre Kindheit und Jugend in Serbien und wie sie Albert Einstein während des Studiums kennenlernte, heiratete und mit ihm zusammenarbeitete und -lebte, bis hin zu ihrer Trennung.
Durch die Ich-Perspektive ist man sehr nahe an der Figur und ich konnte mich gut mit ihr identifizieren - wohl gemerkt mit Mileva als Romanfigur. Denn im Lauf des Buches drängte sich immer mehr die Frage nach dem Anteil von Realität und Fiktion auf. Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin darauf noch etwas mehr eingeht, als sie es im Nachwort tut.
Daher kann meine Rezension nur ambivalent ausfallen:
Lese ich es als Roman, dann würde ich gern fünf Sterne geben - auch für den gut recherchierten Hintergrund. Die Figuren sind lebendig dargestellt, Milevas zurückhaltende, aber strebsame Art und ihr zunächst recht vergnügliches Studentenleben berühren mich - hatten ihre serbischen Eltern ihr wegen ihrer Behinderung (ein Humpeln infolge eines angeborenen Hüftschadens) doch suggeriert, dass sie sowieso nie einen Mann finden würde. Gleichzeitig förderte vor allem der Vater ihre Begabungen und sorgte dafür, dass sie Abitur machen und ein Studium in der Schweiz beginnen konnte. In Zürich scheint sich nun alles zum Guten zu wenden: Ihre Intelligenz wird herausgefordert und gefördert, und sie findet gleichgesinnte Freundinnen, eine großartige Karriere als Wissenschaftlerin steht ihr bevor.
Dann kommt Einstein dazwischen. Zunächst läuft alles auf eine gleichberechtigte Partnerschaft zu; der akademische Austausch ist Bestandteil ihrer Liebesgeschichte. Doch dann wird Mileva schwanger, Einsteins Familie ist gegen sie, das junge Paar hat kein Geld und kann erst später heiraten; was aus dem unehelich geborenen ersten Kind Lieserl wurde, ist unbekannt (die Autorin hält es auf Grund ihrer Recherchen für am wahrscheinlichsten, dass das Lieserl an Scharlach gestorben ist).
Und jetzt wird es problematisch: Im Buch wird es als Tatsache dargestellt, dass Mileva quasi die Initatiorin der Relativitätstheorie ist und auch an vielen weiteren wissenschaftlichen Aufsätzen Einsteins ihren Anteil hatte, dass dieser sie jedoch nach und nach aus der gemeinsamen Arbeit herausgedrängt hat.
Historisch verbürgt ist - u.a. durch den Briefwechsel der beiden - dass sie in einem regen Austausch standen und Mileva in den Anfangsjahren der Beziehung wohl Einsteins wichtigste Denk-Partnerin und kreative Impulsgeberin war. Verbürgt ist ein Ausspruch Einsteins: "Ich brauche meine Frau. Sie löst alle meine mathematischen Probleme." Ein Physikerkollege sagte später, er habe auf den Originalmanuskripten aus dem Jahr 1905 auch den Namen Mileva Einstein-Maric gesehen.
Doch wie groß ihr Anteil genau war, ist nicht zweifelsfrei belegt. Und warum sie es zuließ, dass der Name bei der Veröffentlichung getilgt wurde - bzw. ob sie überhaupt einen Einfluss darauf hatte. Ein wesentliches Hindernis wird sicherlich das nicht bestandene Physikstudium gewesen sein.
Albert Einstein erscheint in dem Buch zunehmend als Kotzbrocken, der seine Frau nach und nach aus der gemeinsamen Arbeit ausgeschlossen und den ganzen Ruhm für sich eingeheimst hat.
Nach allem was bekannt ist, liegt der Schluss nahe, dass Mileva Einstein tatsächlich ein Opfer jener Zeit wurde - geschwächt durch die Widerstände, die sie als Frau und eine der ersten Physikstudentinnen überhaupt überwinden musste, die schwierigen Anfangsjahre vor der Ehe, das uneheliche Kind und dessen Verlust (den Albert nur aus der Ferne verfolgte), und die mangelnde Unterstützung durch Albert Einstein.
Aber wir wissen nicht wirklich, was in der Beziehung der Einsteins vor sich ging - außer dass sie zärtlich ihren Anfang nahm und später völlig zerrüttet war. Tatsächlich überliefert ist z.B. jene unsägliche Liste mit Verhaltensmaßregeln gegen Ende der Ehe, mit der Einstein Mileva zur Dienstmagd degradierte.
Auch wenn ich mir gut vorstellen kann, dass es sich so zugetragen hat wie in dem Buch beschrieben - vieles davon ist eben reine Spekulation. Da hilft nur, weitere Bücher zu lesen und sich selbst eine Meinung zu bilden.
Wie gesagt, mir fehlt in dem Nachwort eine genauere Einordnung und Benennung der fiktiven und realen Anteile, deshalb gibt es einen Stern Abzug.