Der feinfühlige Poet und Interpret Scott Matthew huldigt mit "A Small Conduit Of Great Affairs" ein zweites Mal seinen Lieblingsliedern.
Der Singer-Songwriter Scott Matthew aus Australien, der bereits seit kurz nach der Jahrtausendwende musikalisch aktiv ist, versteht nicht nur das Entwickeln von eigenen Songs als kreative Leistung, sondern auch das Interpretieren von Kompositionen anderer Musikerinnen und Musiker. Entsprechend bringt er seine Gefühle und Sichtweisen in die ausgewählten Lieder ein, die für ihn eine besondere Bedeutung haben. Und das sind nicht etwa nur Stücke von Künstlern, die im weitesten Sinne dem Americana-Genre zuzuordnen sind, wie Bob Dylan, sondern es gehören auch Mainstream-Hit-Lieferanten wie Rihanna dazu.
Was macht ein Künstler, wenn er bemerkt, dass die Themen, die ihn bisher inspiriert haben, nicht mehr die Leidenschaft in ihm auslösen, die es braucht, um tief empfundene, individuell einzigartige Arbeiten zu ermöglichen? Er kann diesen Zustand leugnen und einfach weitermachen, um zu hoffen, dass er zu alter Form zurückfindet. Oder er gibt auf oder pausiert, weil die Bedenken ein "weiter so" nicht zulassen. Für letzteres hat sich der sensible australische Musiker Scott Matthew entschieden, als ihm seine Kreativitäts-Misere bewusst wurde. Er wollte kein Musiker mehr sein, wenn er nicht gewährleisten könne, dass er für seine Kunst innerlich brennt. Nun gab es aber doch noch Motivationen, die ihn zurück auf die Bühne brachten und es ihm erlaubten, mit voller Überzeugung einen Neustart zu wagen. Und zwar in Form eines Cover-Versionen-Albums, also einer Ausdrucksform, die für ihn nicht unbekannt ist. Denn im Jahr 2013 hatte er schon einmal ein solches Vorhaben erfolgreich realisiert.
Jetzt gibt es also quasi eine Fortsetzung vom damaligen "Unlearned". "A Small Conduit Of Great Affairs" ist in Gänze ein Balladen-Album geworden, das mit wechselnder Instrumentierung - häufig in Band-Stärke - aufgenommen wurde. Scott Matthews neues Werk enthält elf Fremdkompositionen und mit "Friends And Foes" einen eigenen Song, den er neu definiert.
Los geht's aber mit "If Not For You" von Bob Dylans unterbewertetem 1970er-Album "New Morning". Dieses Liebeslied für seine damalige Ehefrau Sara ist nach Dylans Beurteilung eine einfache Art von Tex-Mex, der über eine Folk-Basis verfügt. Der Track kommt beschwingt und locker daher, wirkt aber nicht betont ausgelassen. Matthew nimmt bei seiner Umsetzung fast die ganze Geschwindigkeit aus dem Ursprung heraus und badet stattdessen unter Verwendung von bedächtigen Roots-Music-Tönen in triefender Seelen-Pein und düsterer Tristesse. Übermittelt Dylan Zufriedenheit mit seinem Leben, so zeigt sich Scott dagegen als gebrochener Mann.
Der Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte Pop-Song "Live It Up" der australischen Band Mental As Anything ist auch heute noch bei Liebhabern von leicht zugänglichem Liedgut beliebt. Wie zu erwarten, ist die Version des Australiers eine langsamere Variante des Originals, die sich aber nicht unterkriegen, sondern von den ersten Sonnenstrahlen des Tages wärmen und trösten lässt.
Neil Hannons Formation The Divine Comedy zeichnet sich durch gepflegte, interessante Pop-Songs aus. Ein besonders prächtiges, beeindruckendes Lied ist das sakrale, sphärisch-rauschhafte "Eye Of The Needle" vom 2001er-Werk "Regeneration". Scott interpretiert dieses Kleinod nüchterner und straffer, ohne den psychedelischen Ansatz der Vorlage.
Aus der marktschreierischen, grell produzierten Electro-Disco-Nummer "Only Girl (In The World)" von Rihanna destilliert Matthew die gefälligen Melodie-Bestandteile heraus und erzeugt daraus ein anrührendes, Hilfe suchendes, dunkles Chanson.
Eine ähnliche Aufwertung gelingt dem hochsensiblen Musiker durch die Neudeutung des zappeligen, dünnblütigen "All The Lovers" von Kylie Minogue. In seinen Händen reift der Teeny-Pop-Einheitsbrei zu einem erwachsen wirkenden Pop-Song heran.
"Some Say (I Got Devil)" gehört durch den fragilen Barock-Folk-Hintergrund zu den schönsten Songs von Melanie Safka, die ihren kommerziellen Durchbruch beim Woodstock-Festival im Jahr 1969 feierte. Scott Matthew orientiert sich weitgehend am Original und lässt seine bedrückend sorgenvolle, detailreich-zart gesponnene Fassung dadurch zur Hommage an die leider am 23. Januar 2024 verstorbene Sängerin werden.
"Friends And Foes" erschien erstmalig im Jahr 2009 auf dem Scott-Matthew-Album mit dem rekordverdächtig langen Namen "There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage Thats So Violent To Cross It Could Mean Death" als Piano-Ballade. Bei der Neuaufnahme setzt Scott müde klingenden Background-Gesang für die lautmalerische "Lalala"-Verzierung ein. Die instrumentale Begleitung für die aktuelle Einspielung wurde betont spartanisch belassen, was dem Song eine spontane Übungsraum-Atmosphäre verschafft.
Tracey Thorn und Ben Watt sind eine Klasse für sich. Ob Solo oder als Everything But The Girl verstehen sie es vorzüglich, Coolness und Empathie unter einen Hut zu bringen. Das sich an der Bossa Nova orientierende "Fascination" von ihrem Album "Eden" aus 1984 ist ein anschauliches Beispiel für diese These. In der Bearbeitung von Scott Matthew wird klar, dass ihn die Schatten der Vergangenheit, die inhaltlich zwischen zwei Liebenden stehen können, viel mehr beunruhigen, als es Tracey Thorn stimmlich bei "Fascination" ausdrückt. Deshalb wirkt das Lied auf "A Small Conduit Of Great Affairs" auch wesentlich ängstlicher als bei ihr, trotz des von Scott eingesetzten, frischen, perlenden Pianos.
Olivia Newton-John macht aus ihrem "Sam" von 1977 einen sentimentalen, schwülstigen Trennungs-Schmachtfetzen, in dem sie alles bereut und verzeiht, was passiert ist und die Beziehung fortsetzen möchte. Scott greift die Verzweiflung auf, die sich hinter den süßlichen Noten von Olivia versteckt. Er lässt die wahre Tragik erblühen, indem das Lied beinahe in Zeitlupe abläuft und durch Streicherinstrumente eine bleierne Klagestimmung erzeugt wird. Diese unterschiedlichen Arten der Umsetzung sind ein einleuchtendes Beispiel dafür, wie unrealistisch künstlich aufgebauschte Töne und wie herzzerreißend authentisch wahrgenommene Gefühle klingen können.
Simone White hat mit ihrem sanften Folk-Jazz "Sweetest Love Song" tatsächlich ein wunderschönes Liebeslied geschrieben. Es beschreibt mit großer Gelassenheit die Freude darüber, eine gleichgesinnte Person gefunden zu haben, die Glück und Zufriedenheit ins Leben bringt. Scott Matthew wäre nicht Scott Matthew, wenn in seiner Betrachtung bei aller im Text ausgedrückten Harmonie nicht auch eine große Portion Zweifel mitschwingen würde.
"Easy To Be Hard" ist ein Lied aus dem Musical "Hair", das Ende der 1960er Jahre populär war und die Hippie-Bewegung auf die Broadway-Bühne brachte. Musikalisch blieb die trendige Inszenierung aber weitestgehend im Mainstream-Soul-Pop stecken, was auch für "Easy To Be Hard" gilt. Aber das kann nicht für Scotts Bearbeitung geltend gemacht werden: Er rettet das ursprünglich aufgeblasene, theatralische Stück vor dem Mittelmaß, indem er es in eine seriöse, interessante Form überführt.
Rita Coolidge, die Ex-Frau von Kris Kristofferson, nahm 1977 die schmachtende Pop-Hymne "We’re All Alone" auf, die es bis auf Platz sieben der US-amerikanischen Billboard-Charts schaffte. Der Track ist eine Steilvorlage für den introvertierten Singer-Songwriter aus Australien, der im Hinblick auf die zur Schau gestellten, aufgewühlt-andachtsvollen Gefühle noch mehrere Intensitätsstufen oben draufsattelt.
"A Small Conduit Of Great Affairs" vermittelt in keiner Sekunde den Eindruck, dass der handelnde Musiker in einer Identitätskrise gesteckt hat oder noch stecken würde. Es scheint also bei Scott Matthew alles wieder im Lot zu sein. Wer keine Angst davor hat, sich in eine Songsammlung zu stürzen, die fast ausschließlich aus schwermütigen Liedern besteht und wer sich generell mit intim-berührendem Liedgut wohlfühlt, der liegt bei "A Small Conduit Of Great Affairs" genau richtig. Hier bekommt man nämlich eine volle Breitseite an verletzlich-traurigen Stücken geboten, die je nach eigener Verfassung das Herz wärmen oder schwer machen können. Für eine intensive emotionale Dusche ist also gesorgt und für konstruktive Melancholie sowieso.