Der aktuelle Karriere-Schnappschuss von Sarah Jarosz dreht sich mit vermehrter Pop-Ausrichtung um die Liebe.
Es gibt diese Künstler, die mit ihrem Auftreten den Raum für sich einnehmen und mit ihrer Stimme eine ultimative, über alle Maßen weise Darbietung präsentieren. So wie Matt Berninger (The National) oder eben Sarah Jarosz. Die 1991 in Austin geborene und nach New York jetzt in Nashville lebende Musikerin, wurde als musikalisches Wunderkind im Country-Folk- und Bluegrass-Genre gehandelt. Denn schon mit 12 Jahren stand sie als Mandolinen-Virtuosin mit den Szene-Größen Ricky Skaggs und David Grisman auf der Bühne. Als Sechzehnjährige erhielt sie einen Plattenvertrag und brachte zwei Jahre später ihr erstes Album "Song Up In Her Head" heraus. "Polaroid Lovers" ist jetzt ihre achte eigene Platte (neben einem Werk als I`m With Her mit Sara Watkins und Aoife O`Donovan) und beinhaltet einen Kurswechsel.
Bei der ersten Single "Jealous Moon" handelt es sich im Grunde um einen stramm getakteten Track mit minimalistischen und psychedelischen Einlagen. Die ausgleichende Stimme von Sarah Jarosz schubst die Komposition vom Hard-Rock-Sockel und lässt sie als vollmundig-bittersüßen Country-Pop mit bodenständigen Bluegrass-Mandolinen-Verweisen erstrahlen. Der Track verfügt über einen aufmunternden Rhythmus, beschwichtigenden Gesang, einer lieblichen Melodie, einem süffigen Refrain und inspirierenden Soli. Das Ergebnis hinterlässt eindeutige Ohrwurm-Qualitäten und ist eine attraktive Bewerbung für die Pop-Charts. "Es ist ein Song über die Zeiten, in denen die Teile von uns selbst, die wir zu verbergen versuchen, an die Oberfläche kommen und wir keine andere Wahl haben, als auf dieser Welle zu reiten", verrät die einfühlsame Musikerin.
"When The Lights Go Out" und "Good At What I Do" lassen die lockere Geschmeidigkeit der Fleetwood Mac-Songs des Gespanns Stevie Nicks und Lindsay Buckingham auferstehen. Die harmonischen Melodien legen behutsam ihre schützenden Arme um die Texte und Sarah fungiert dabei als achtsame Wortführerin. Die Band sorgt unterdessen für eine angemessene, liebenswerte Behaglichkeit. "Wer bist Du, wenn der ganze Glanz und die Aufmerksamkeit nicht mehr auf Dir ruht? Wer bist Du wirklich?", das ist die Fragestellung, die sich hinter den Worten von "When The Lights Go Out" verbirgt. "Good At What I Do" beschäftigt sich hingegen mit dem Thema Selbstzweifel.
Die optimistisch gestimmte, freundlich-aufgeschlossene Country-Rock-Seligkeit der Desert Rose Band um Chris Hillman und Herb Petersen stand eventuell bei "Runaway Train" als Anregung zur Verfügung. Inhaltlich wird die prickelnde Hochstimmung zu Beginn einer Beziehung heraufbeschworen.
Die rhythmisch lebhaft auftrumpfende Ballade "The Way It Is Now" schafft es nicht, gesanglich auf kitschige Schwärmerei zu verzichten. Die sauber-gefühlvolle Instrumentierung und die nachhaltigen Gedanken rund um die Würdigung der guten Dinge des Lebens können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Stück trotz aller Bemühungen kompositorisch einen faden Beigeschmack hinterlässt. Das Pendel schlägt leider im Endeffekt zuungunsten von seichter Sentimentalität aus.
"Dying Ember" zeigt, wie es besser geht. Eine kompakte Schlagzeug-Sequenz hebt den Song aus der Gefahr einer vermeintlichen Klebrigkeit heraus. Die E-Gitarre packt energisch zu und Sarahs Gesang ist auf einem Niveau angesiedelt, das sinnliche Überlegenheit signalisiert. Dem Song liegt die Möglichkeit zugrunde, "Hoffnung in einer Beziehung zu finden, wenn es sich so anfühlt, als würde sie sich dem Ende nähern."
"Columbus & 89th" ist ein zärtlich-sensibler, feingliedriger Country-Folk, der einer sphärisch-jazzigen Auslegung eines transparenten Roots-Music-Sounds begegnet. "Dieser Song birgt so viel Nostalgie in sich... er trauert gleichzeitig um den Lauf der Zeit (gemeint sind die sieben Jahre in New York) und freut sich darüber, wohin er führen kann (durch die Umsiedlung nach Nashville)."
Für "Take The High Road" wird eine Stimmung simuliert, die sich im Hintergrund mystisch-verschwommen zeigt, sich aber vordergründig aufgeweckt-vorpreschend präsentiert. "Es geht darum, nicht an sich selbst zu zweifeln und seinen Selbstwert anzuerkennen", lässt Sarah wissen.
Die bedächtige Seite bleibt, aber das Tempo wird heruntergefahren: "Don’t Break Down On Me" bindet den Eindruck von Verzweiflung und Sehnsucht in Noten, hat das Licht am Ende des Tunnels aber stets im Blick. Die Steel-Gitarre hinterlässt dazu als Orientierung schmückende, schnell verglühende, gleißende Lichter am Firmament. Der Track befürwortet, in einer schwierigen Phase einer ehemals herzlichen Beziehung nicht vorschnell aufzugeben, sondern zunächst für den Erhalt zu kämpfen.
Der erste Eindruck: "Days Can Turn Around" klingt wie die Fortsetzung von Neil Youngs "Harvest Moon", also wie ein schlurfend-langsamer Pseudo-Country-Walzer, der alle Zeit der Welt für sich gepachtet hat. Das Motto des Stücks lässt sich auf die Binsenweisheit verkürzen, dass auch die belastendsten Zeiten einmal vorbeigehen. Der zweite Eindruck bestätigt den ersten Eindruck.
Die melancholische Eleganz der Bossa Nova hat Einzug bei "Mezcal And Lime" gehalten. Der Song lässt es sich zwischen sonniger Leichtigkeit und Folk-Jazz-Raffinesse gut gehen und spricht somit sowohl Soft-Rock- als auch Hippie-Folk-Anhänger an. Er soll "das Gefühl eines nie endenden Sonnenuntergangs mit einem Cocktail in der Hand" vermitteln.
Sarah Jarosz ist wahrlich in der Lage, magische Momente zu erzeugen. Nicht nur auf ihren eigenen Alben, sondern auch als Gast bei anderen Künstlern. So wie bei "You Can Close Your Eyes" auf "Cover To Cover" aus 2022 der Brother Brothers. Ihr Harmonie-Gesang ist dort zwar zurückhaltend, aber voller Empathie und dadurch unglaublich wirkungsvoll. Herrlich!
Als versierte Singer-Songwriterin nutzt die vierfache Grammy-Gewinnerin für "Polaroid Lovers" die Möglichkeiten des Americana-Sounds als Vehikel, um die Tiefe ihrer Emotionalität in einem Pop-Umfeld adäquat darstellen zu können. Dabei zeigt sie sich in der Vertonung sowohl stilvoll-anspruchsvoll als auch eingängig-unterhaltsam.
Konzeptionell gibt es eine Klammer, die den Album-Titel erklärt: "Was ich an einem Polaroid-Foto so liebe, ist, dass es etwas Flüchtiges festhält, aber gleichzeitig macht es diesen Moment ewig haltbar. Es machte Sinn als Titel für ein Album, bei dem alle Songs Schnappschüsse von verschiedenen Liebesgeschichten sind und man das Gefühl hat, dass sich die Zeit trotz dieser Vergänglichkeit ausdehnt".
Der Schwenk in Richtung Mainstream-Pop ist Sarah Jarosz mit "Polaroid Lovers" mit kleinen Einschränkungen gut gelungen. Sie hat sich nicht als trendiges Abziehbild vereinnahmen lassen, bleibt glaubwürdig und verleugnet nicht ihre musikalischen Wurzeln. Was die realisierbare, starke, durchdringende Wirkung ihrer Sensibilität angeht, wäre allerdings an der einen oder anderen Stelle etwas mehr dunkle Patina statt wehleidiger Romantik angebracht gewesen.