MOTOWN's white singer CHRIS CLARK
1965: MOTOWN, die kleine aufstrebende Schallplattenfirma am Detroiter West Grand Boulevard 2648, ist zum Anziehungspunkt für junge Künstler/innen geworden, die sich Hoffnungen machen, dass die "black owned and black managed company" zum Sprungbrett für die angestrebte Profi-Karriere wird.
Termine zum Vorsingen gibt es regelmäßig und genauso regelmäßig sind es junge schwarze Amateure aus dem "Black Bottom Ghetto", die bei MOTOWN ihr Glück versuchen.
Zu jener Zeit sitzt die junge schwarze Receptionistin Juana Royster im kleinen Empfangsraum des "Hitsville U.S.A." getauften Hauses. Als sich zum vereinbarten Termin eine junge Frau mit Namen Chris Clark einfindet, stellt Juana Royster mit Erstaunen fest, dass es sich hierbei um eine großgewachsene Blondine handelt. Dieser Vorstellungstermin einer Weißen in einer schwarzen Plattenfirma war etwas besonderes zu jener Zeit. Weiße machten Musik für Weiße, Schwarze machten Musik für Schwarze und das "Crossover", das die SUPREMES einleiteten, war noch immer die große Ausnahme in der Musikbranche.
Juana Royster macht der jungen Frau, die einen nervösen Eindruck macht, Mut und sagt: "Sie brauchen nicht nervös zu sein, Mr. Gordy ist ein freundlicher und umgänglicher Mann, Seien Sie einfach Sie selbst ..."
Als Chris Clark das Büro von Berry Gordy im 1. Stock des Hitsville-Gebäudes betritt, ist auch Gordy überrascht von der Erscheinung der jungen Frau. Er bittet sie Platz zu nehmen, hört sich das Demo-Tape an (der Song gefällt ihm nicht, jedoch die Stimme der Sängerin) und fragt dann, ob sie auch etwas live singen könne. Chris Clark antwortet, dass sie darauf nicht vorbereitet sei und ob im Nebenraum ein Klavier stünde.
Gordy bittet die junge Frau, ganz ohne Instrumenten-Unterstützung zu singen, um ihre Stimme besser beurteilen zu können. Chris Clark singt den ETTA JAMES Song "All I Could Do Was Cry" (composed by Berry Gordy, himself :-) ).
Berry Gordy fragt sie anschließend, wo sie gelernt habe so viel Soul in die Stimme zu bekommen und Chris Clark antwortet, sie habe mit schwarzen Jazz-Musikern getourt und dabei viel gelernt ..., nicht zuletzt Soul.
Der MOTOWN-Chef bietet der jungen Frau einen Plattenvertrag an und stellt später fest, dass Chris Clark auch eine begabte Komponistin und Drehbuch-Autorin ist (aber dazu später mehr ...).
Als Chris Clark die Treppe herunterkommt, fragt die Empfangsdame neugierig, wie es gelaufen sei und Clark macht einen Scherz, den Gordy selbst später immer wieder mit lautem Lachen erzählt:
"Oh, ich war zuerst sehr nervös und wartete, während 'der große, schwarze Affe' mich anstarrte ..."
Juana Royster erstarrt! Eine rassistische Äußerung, hier in unseren eigenen Räumen? Dann fährt Chris Clark mit einem Augenzwinkern fort: "Oh, nein! Ich meine die Keramik-Figur auf dem Schreibtisch von Mr. Gordy ..." Befreit antwortet Juana: "Ach DER Affe ..." und Chris Clark erwidert: "Oh, ich habe definitiv nicht über den Anderen gesprochen ..." Beide Frauen brechen jetzt in schallendes Gelächter aus.
Berry Gordy hörte natürlich von dieser Unterhaltung und fand die Story so komisch, dass er sie immer wieder erzählte ...
Und wie verlief nun die "Karriere" der weißen Sängerin in der Karriere-Schmiede für schwarze Künstler/innen? Wie gesagt 1965, der Rassismus in der us-amerikanischen Gesellschaft ist allgegenwärtig. MOTOWN bringt Plattencover von schwarzen Künstlern heraus, die nichts über die Hautfarbe der Interpreten verraten (z.B. ein weißes Paar am Strand auf dem Cover des ISLEY BROTHERS Albums "This Old Heart Of Mine" oder ein gezeichneter weißer Postbote auf dem MARVELETTES Album "Please, Mr. Postman").
Die Company erhält Briefe von weißen Teenagern, die schreiben: "Wir lieben Eure Musik, müssen die Platten aber vor unseren Eltern verstecken, weil sie uns die sonst wegnehmen. Sie wollen nicht dass wir Musik von Schwarzen hören ..." Als MOTOWN-Songs erfolgreich im Radio gespielt werden, reist ein schwarzer Außendienstler in die Südstaaten um dort den Vertrieb zu organisieren. Einer seiner weißen Ansprechpartner ruft anschließend in Detroit an und sagt zu dem (ebenfalls schwarzen) Manager, dessen Hautfarbe er nicht kennt: "Sie brauchen uns diese schwarzen ....... nicht mehr vorbeizuschicken, lassen Sie uns die Geschäfte unter uns Weißen abschließen ..."
Als Chris Clark (selbstverständlich mit MOTOWN's legendärer - überwiegend schwarzer - Studio-Band THE FUNK BROTHERS) den Song "Do Right Baby Do Right" aufnimmt, läßt Gordy die Hautfarbe der Sängerin im unklaren. Als er die Platte vor Musik-Journalisten vorstellt und dann auch die Sängerin dazu bittet, ist die Überraschung groß. Gordy grinst und kann sich ein "not bad for a white girl, hm ...?" nicht verkneifen.
Chris Clark gelingt mit dem Nachfolgesong "Love's Gone Bad" (Holland-Dozier-Holland) 1966 ein Achtungserfolg (R&B Charts # 41, Pop-Charts # 105), die anschließenden Aufnahmen (u.a. 2 Alben/LPs "Soul Sounds" und "C.C. Rides Again") floppen jedoch in den U.S.A., während Clark unter den "Northern Soul" Fans in *Großbritannien, als "amerikanische Antwort auf DUSTY SPRINGFIELD" und "Blue Eyed Soul Singer" verehrt wird ...
Aber Chris Clark wird, neben der jungen schwarzen Musikmanagerin SUZANNE DE PASSE, zur "rechten Hand" von Berry Gordy. Sie komponiert, managed und schreibt später als Co-Autorin am Drehbuch des DIANA ROSS Erfolgsfilms "Lady Sings The Blues" mit.
Eine wunderschöne Doppel-CD Chris Clark The Motown Anthology. Anschaffen, bevor es zu spät und sie aus dem Handel verschwunden ist (wie bereits die Brenda Holloway Doppel-CD The Motown Anthology).
Diese britische CD-Serie ("The Motown Anthology") ist sorgfälitg konzipiert, im Klang optimiert und hochwertig.
Die CD-Reihe gibt MOTOWN-Sammlern die Möglichkeit (teilweise erstmals auf CD), über die weltbekannten Topstars des Labels hinaus, auch die nicht ganz so bekannten Motown-Künstler kennen zu lernen.
Wer diese Künstler/innen erst jetzt entdeckt wird sicher erstaunt sein, welch' hohe Qualität sowohl Interpretation, Komposition, als auch Instrumentierung durch die damals "... wohl beste Band Amerikas, MOTOWNs legendäre Studio-Band THE FUNK BROTHERS ...", Quelle: "Where Did Our Love Go", Nelson George (siehe meine Rezension der Doppel-CD "Standing In The Shadows Of Motown Deluxe-Version") und nicht zuletzt ausgezeichnete Klangqualität (durchweg in bestem Stereo) diese Serie bietet.
Es sollte dabei nicht vergessen werden, dass es sich um Original-Mastertapes der 1960er Jahre handelt, die sich hier durchaus teilweise klangtechnisch mit heutigen Studio-Aufnahmen messen können.
Zur Stellung des Labels MOTOWN in der Musikwelt der 1960er Jahre:
MOTOWN war das einzige Label mit schwarzem Eigentümer (noch dazu gab es hier den Glücksfall, dass es sich bei Berry Gordy um einen Songschreiber handelte - der bereits erfolgreiche Titel z.B. für Jackie Wilson geschrieben hatte - und nicht nur um einen Geschäftsmann, wie dies jedoch bei vielen anderen Plattenfirmen der Fall war), das in den Anfangsjahren fast ausschließlich schwarze Komponisten, Produzenten, Manager, Musiker und Sänger/innen beschäftigte.
Dagegen gehörten die "Soul-Label" STAX-RECORDS und *ATLANTIC-RECORDS Weißen und beschäftigten von Anfang an auch (und teilweise *überwiegend) weiße Studio-Musiker ...
In diesem Zusammenhang war es daher z.B. auch folgerichtig, dass Dr. Martin Luther-King seine berühmten Reden nicht etwa bei STAX oder ATLANTIC veröffentlichte, sondern auf dem "Black Forum" Label der Firma MOTOWN, ... aber das sei nur am Rande bemerkt..
MOTOWN war das wirklich schwarze Label. Allerdings war Berry Gordy klar, dass seine Künstler/innen nur ein wenig beachtetes musikalisches Nischen-Dasein führen würden, wenn man sich auf das schwarze Publikum, als Plattenkäufer, beschränken würde (schließlich gab es in den USA viel weniger Schwarze, als Weiße).
Man sprach daher gezielt ein schwarzes UND weißes Publikum an und ... der Erfolg gab MOTOWN recht, der Motown-Sound wurde ein Welterfolg.
Wer den heutigen Pop-Markt verfolgt, kann sich kaum noch vorstellen, wie viele erstklassige Songs damals fast täglich neu im Radio zu hören waren. An Kreativität, Einfallsreichtum, Talent und Arbeitseifer sind die 1960er Jahre bis heute unübertroffen. Und deshalb bedienen sich immer noch regelmäßig Künstler der nachgewachsenen Generationen (von Amy Winehouse, über James Morrison bis zu Nina Zilli) aus dem Pool dieser Kronjuwelen der Popmusik.
Resümee:
Die britische CD-Serie der MOTOWN ANTHOLOGY Reihe beinhaltet sehr gut klingende Überblicke über die Karrieren von nicht ganz so bekannten MOTOWN-Künstlern. Es lohnt sich also auch nach den anderen Doppel-CD-Veröffentlichungen dieser Serie Ausschau zu halten. Ich selbst besitze etliche davon, die ich mir im Laufe der vergangenen Jahre nach und nach angeschafft habe und bin bisher niemals enttäuscht worden.
Die oft etwas einfallslose Cover-Gestaltung sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um hochwertige, sehr gut digital remasterte CDs, die jeweils durch ein informatives Booklet, mit sorgfältig recherchiertem Hintergrundwissen, ergänzt werden, handelt.
Hier eine kleine Übersicht der bisher erschienen Anthologien, die teilweise auch als 'Ultimate Motown Collection' bezeichnet werden:
Brenda Holloway
Kim Weston
Chris Clark
Jimmy Ruffin (CD 1 teilweise in mono)
The Elgins
Barbara McNair
Chuck Jackson
Barrett Strong (komplett in Mono, aufgrund des Alters der analogen Mastertapes)
The Velvelettes
sowie die, in Lizenz bei KENT-Records veröffentlichten, Einzel-CDs
The Monitors - The Motown Anthology 1963-1968
Here Comes ... Shorty Long - The Complete Motown Stereo Masters
Marv Johnson - The Complete Motown Recordings 1964-1971
(durchgehend ebenfalls ausgezeichnet in Klang und Aufmachung)