Der Name ist Programm: "The Iridescent Spree" beinhaltet einen schillernden Reigen von transformiertem Jazz ohne Genre-Scheuklappen.
SuperBlue ist eine Allstar-Formation. Ähnlich wie bei den Jazz-Projekten Weather Report oder The Mahavishnu Orchestra besteht die Besetzung nur aus bewährten, hochgradig begabten Musikern: Kurt Elling, Jahrgang 1967, verfügt über eine vier Oktaven überspannende, flexible Bariton-Stimme, die ihm in den letzten 25 Jahren seines Schaffens etliche Auszeichnungen eingebracht hat (unter anderem wurde er 17-fach zwischen 2000 und 2021 vom renommierten „Downbeat“-Magazine zum besten Sänger des Jahres gekürt). Der umtriebige Fusion-Gitarrist und Produzent Charlie Hunter, der auf seiner achtsaitigen Hybrid-Gitarre gleichzeitig Lead-Gitarre und Bass spielt, ist ein gern gesehener Gast bei Kolleginnen und Kollegen, hat aber auch schon einige Alben unter eigenem Namen aufgenommen. Der Schlagzeuger Corey Fonville und der Multiinstrumentalist DJ Harrison kommen von der aus Virginia stammenden Band Butcher Brown und stellen dort das unbändig temperamentvolle Rhythmusgeflecht dar. Butcher Brown sind vom 1970er Jahre Jazz und Funk beeinflusst und bezeichnen ihre Musik als "Hip-Hop-Mahavishnu". Manche Aufnahmen auf "The Iridescent Spree" werden durch die saftigen, kraftvollen Huntertones Horns aus Brooklyn (Jon Lampley: Trompete; Dan White: Saxophon; Chris Ott: Posaune) veredelt, die für eine besondere, feurig-volltönende Würze verantwortlich sind.
Von einer unbekannten Inspirationswelle wurde Joni Mitchells „Black Crow“ auf „The Iridescent Spree", dem zweiten Studio-Album nach "SuperBlue" aus 2021, gespült. Dadurch, dass die Gruppe den Noten einen flotten, eleganten Funk-Jazz-Groove beibringen, verleihen sie „Black Crow“ eine lebensfrohe Erscheinung. Diese wird durch einen strammen Rhythmus, dem variabel-süffigen Gesang und der exakten, markigen Saitenarbeit modelliert. Die endgültige Ausgestaltung geschieht unter Einbeziehung einer schäumenden Scat-Gesangs-Einlage in Al Jarreau-Manier und einer swingenden, im Gedächtnis an Herbie Mann geblasenen Querflöte. Bei dieser Gelegenheit begegnen sich also einmal mehr Vergangenheit und Gegenwart, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen.
Der Groove bleibt, der Gesang ändert sich für "Freeman Square": Kurt Elling dehnt die letzten Worte eines Satzes und erzeugt auf diese Weise mit seiner Stimme eine bizarre, unnatürlich wirkende, schwerfällige Stimmung. Als würde der Moment nachempfunden, der den Übergang von der Wachphase zu einer Sedierung ausmacht. Alsbald passt Kurt dann seine Stimme dem hektisch pulsierenden Rhythmus an und lässt die Dehnung weitestgehend weg. Der Track wandelt sich durch diese Wendung zu einem Hip-Hop-Jazz-Song mit Tendenz zum großspurigen Broadway-Entertainment. Zwischendurch ertönt ein Harmonie-Gesang, der so rein, weich und unschuldig ist, wie die Stimmen der Singers Unlimited. Am Ende des Stückes werden dann die Anfangs-Sequenzen wieder aufgegriffen. Der Kreis ist geschlossen. Vielseitigkeit charakterisiert diesen Track, der sich quer legt, was einen durchgängigen Flow angeht, sanft gegen den Strich gebürstet ist und dabei die Harmonie aber nicht ganz vergisst.
"Naughty Number Nine", das durch den Jazzsänger Grady Tate 1973 bekannt gemacht wurde, schaltet mehrere Gänge zurück und atmet rauchige Kellerbar-Jazz- oder coole Nachtclub-Atmosphäre ein. Elling präsentiert sich dabei als gewandter, swingender Balladensänger, der es bei aller Empathie vermeidet, rührselig zu sein. Seine Mitstreiter klingen galant, transparent und aufgeweckt, sind ständig mit Elling auf Ballhöhe, sodass sie sich wie eine eingeschworene Einheit anhören, die jede musikalische Hürde gemeinsam souverän nimmt.
Ein schläfriger Gesang lässt bei "Little Fairy Carpenter" sofort Entspannung aufkommen. Der schleppende, elektrisch aufgeladene Country-Twang, den Charlie Hunter beiträgt, erzeugt flirrende Schwüle und das Rhythmus-Gespann hält dieses fiebrige Gebilde an langer Leine locker zusammen.
Der Funk von "Bounce It" ist trocken und wirkt zunächst etwas steif. Ellings High-Speed-Gesang und die fetten Bläser der Huntertones Horns lösen die Sterilität der Produktion schließlich jedoch tatkräftig und originell auf.
Für "Lonely Woman", das der Saxophonist Ornette Coleman 1959 herausgebracht hat, verfasste Kurt Elling einen Text und hat das Stück nun "Only The Lonely Woman" genannt. Er beschwört darin stimmlich den Geist des Crooners Frank Sinatra, lässt sich aber nicht gänzlich von ihm vereinnahmen. Empathie dringt ein, Sentimentalität bleibt draußen. Im Kontrast dazu trägt Corey Fonville am Schlagzeug nervöse, schnelle Takte bei. Der Bass von DJ Harrison pumpt stoische Donnerschläge in den Raum. Das Keyboard und die Gitarre spielen die Space-Sound-Karte aus und verschaffen dem Song somit einen ätherisch-mystischen Hintergrund. Atmosphärisch bewegt sich das Stück auf der Ebene der drogenschwangeren Tim Buckley-Aufnahmen von "Lorca" - abgesehen von dem hibbeligen Rhythmus.
Der empfindsame Pop-Song "Right About Now" von Ron Sexsmith wird als langsame, jazzige Smooth-Soul-Ballade interpretiert, bei der sich Kurt Elling ausgiebig in Herz-Schmerz suhlen darf.
Zurück zum druckvollen Groove: "Not Here / Not Now" kombiniert Funk mit Jazz, was nicht neu und nicht unbedingt aufregend ist, aber durch die Brillanz der Akteure in diesem Fall durchaus stimulierend wirkt.
Der Spoken-Word-Beitrag für "The Afterlife" steht für eine Vergeudung von Talent. Statt zu singen, zitiert Kurt Elling die Poesie, dieses Unterfangen unterfordert ihn eindeutig. Es ist immer eine Freude, Kurt singen zu hören, da er zu den ausdrucksstärksten lebenden Sängern gehört und im Nullkommanix eine entgegenkommend-verbindliche Beziehung zwischen ihm und seinen Zuhörern herstellen kann. Aber hier ist die Nummer nicht vor der musikalischen Belanglosigkeit zu retten.
Im Allgemeinen fehlt dem Fusion-Sound oft eine erdige, emotionale Durchsetzungsfähigkeit und Verbundenheit, weil es in dem Genre meistens auf technische Brillanz ankommt. Das SuperBlue-Ensemble hat auch manchmal einen Hang zur Perfektion: Es gehört schließlich instrumental zur Spitzenklasse und die beteiligten Instrumentalisten spielen exakt wie ein Uhrwerk. Einige Jazz-Nerds und Liebhaber von elektronischer Musik genießen diese Präzision der Instrumentenbeherrschung, während andere diese Tugend als zu kühl wahrnehmen.
Bei SuperBlue ist aber entscheidend, dass der Faktor "menschliche Wärme" in Form des leidenschaftlich agierenden Sängers Kurt Elling dazukommt, welcher einen Großteil der Aufmerksamkeit auf sich zieht. Elling beherrscht alle Klang-Schattierungen - vom Great American Songbook bis zur Avantgarde - in Vollendung und durchdringt die Noten mit seiner emotional gesättigten Stimme. Deshalb ist dieses Ensemble so bemerkenswert, weil es versteht, wie man Zuverlässigkeit und Feingefühl lückenlos miteinander verbindet. Und auf diese Weise entziehen sich die Musiker einer sterilen Darstellung und können ihre Fingerfertigkeit in den Dienst von lebendigen Songs stellen, über deren gehaltvolle Präsentation man nur staunen kann.