Kurt Elling hat keine Zeit für Stillstand.
Kurt Elling - ein Künstler der Superlative. Er gewann die renommierte Kritiker-Wertung der "Downbeat"-Jazz-Fachzeitschrift für den besten männlichen Sänger des Jahres zwischen 2000 und 2021 ganze unglaubliche 17-mal. Und das bei solch starker Konkurrenz wie Gregory Porter oder Theo Bleckmann. Hinzu kommen alleine 10 Grammy-Nominierungen für das beste Jazz-Gesangs-Album und noch diverse weitere Auszeichnungen. Das zeigt seine Einzigartigkeit, seine Anerkennung, sein immenses Talent und seine beständige Qualität. Stilistisch ist er kaum zu fassen: Das Great American Songbook gehört genauso zu seinem Repertoire wie Prosa-Lesungen und freie Improvisationen. Auf Grund seines vier Oktaven umfassenden Baritons klingt alles, was er von sich gibt, unangestrengt und so, als wären seine Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Seine Stimme reift wie guter Wein und wird von Jahr zu Jahr ausdrucksstärker.
Größere Aufmerksamkeit erhielt der Künstler aus Chicago erstmals 1995 mit seinem Album "Close Your Eyes". Seitdem scheute er auch keine Abstecher in Jazz-fremde Gefilde und arbeitete grade für "SuperBlue" mit dem Fusion-Sound-Gitarristen und Produzenten Charlie Hunter sowie dem Keyboarder DJ Harrison und dem Schlagzeuger Corey Fonville von der Jazz-HipHop-Funk-Rap-Rock-Soul-Band Butcher Brown zusammen. Seine Kollegen konnte er jedoch für die Aufnahmen nicht persönlich treffen, über einen Online-Austausch brachten sie trotz der räumlichen Distanzierung jede Menge Energie, Dynamik und Druck in die aktuelle Musik ein, die aus Eigen- und Fremdkompositionen besteht.
Der Album- und Song-Titel "SuperBlue" stammt ursprünglich vom Jazz-Trompeter Freddie Hubbard aus dem Jahr 1978. Elling hat einen Text dazu verfasst und greift den kraftvoll rollenden Jazz-Groove auf, lässt ihn langsamer laufen und nutzt die zähe Masse für eine ausgiebige Demonstration seiner gesanglichen Variationsfähigkeit.
Mit dem knackigen, mondänen Funk-Jazz "Sassy" verfassten The Manhattan Transfer 1991 eine Hommage an die Jazz-Sängerin Sarah Vaughan. Die neue Version ist zickiger, angriffslustig und rhythmisch spritziger angelegt. Die Eleganz des Originals ist einer latenten Aggressivität gewichen.
"Manic Panic Epiphanic" ist eine Ensemble-Leistung, die einen entspannten Ablauf in den Mittelpunkt des geschmeidigen Smooth-Soul stellt, der durch knackige Funk-Spritzer belebende Reize verordnet bekommt. Gesanglich gesellen sich Gospel-Anklänge ("He`s Got The Whole World In His Hands") zu Soft-Rock-Falsett-Stimmen, die mit Swing-Ansätzen in Konkurrenz stehen.
Für "Where To Find It" bildete das Stück "Aung San Suu Kyi" von Wayne Shorter (ex-Weather Report) die Vorlage. Das Stück wurde nach der Politikerin aus Myanmar benannt wurde, die sich für eine gewaltlose Demokratisierung einsetzte. Kurt Elling baute das Gedicht "Animal Languages“ von Chase Twichell ein und phrasiert so souverän-selbstbewusst wie Frank Sinatra. Der neu entstandene Song gerät zu einer vollmundigen Komposition mit hypnotischen Takten, überraschenden Fills, manchen pfiffigen Wendungen und einem weichen, cremigen Flow.
Wie selbstverständlich gleitet der unnachgiebig drängende Funk von "Can’t Make It With Your Brain" in ein selbstbewusstes Jazz-Chanson über und berücksichtigt auch noch provokativen Sprechgesang sowie wohlige West-Coast-Folk-Rock-Background-Stimmen.
"The Seed" ist ein Song des R&B-Musikers Cody ChesnuTT, der sich durch seine Vielfältigkeit auszeichnet. Neben HipHop-Beats gibt es eine Funk-Rock-Gitarre, Folk- und Psychedelic-Soul-Zitate und eine feine Pop-Melodik zu hören. Abgrenzungen zwischen "schwarzer" und "weißer" Musik werden hier ad absurdum geführt. Die HipHop-Band The Roots nahm das Lied als "The Seed (2.0)" mit ChesnuTT als Sänger und Gitarrist in einer krachend-brodelnden Fassung neu auf. Nun gibt es auf "SuperBlue" eine frische Interpretation der Kurt Elling-Formation, die wesentlich aufgeräumter und ausgefeilter als die Vorlagen rüber kommt, auch wenn auf ein stacheliges Gitarren-Solo nicht verzichtet wurde.
Mit "Dharma Bums" würdigt Kurt Elling den Schriftsteller Jack Kerouac zu seinem 100. Geburtstag. Neben Allen Ginsberg und William S. Burroughs war er einer der führenden Beat Generation-Autoren der 1950er Jahre. Sein Ruhm stützt sich hauptsächlich auf den Roman "On The Road", einer ekstatischen Reisebeschreibung voll von Sex, Drogen und Jazz. Als musikalisches Vehikel für ihre Hommage nutzen die Musiker überwiegend coolen Jazz-Pop, wie er auch auf "Aja" von Steely Dan zu hören ist.
Aus dem von Tom Waits auf "Real Gone" (2004) zitierten "Circus" machen Elling & Co. einen schnellen Funk, wobei der Text auch hier gesprochen und nicht gesungen wird. Eine vertane Chance, denn mit einer Gesangslinie wäre aus dem Song noch viel mehr herauszuholen gewesen.
Das verträumte, instrumentale "Lawns" von Carla Bley hatte Kurt Elling schon 2018 auf "The Questions" als "Endless Lawns" mit eigenem Text als ruhige, unbeugsame, neunminütige Ballade aufgenommen. Jetzt interpretiert er das Stück mit seinen neuen Mitstreitern nochmal in ähnlicher Form und Intensität.
Das einminütige Outro "This Is How We Do" fasst dann nochmal die Haupt-Elemente von "SuperBlue" zusammen: Groove und Empathie.
Kurt Elling hat mit seinen Mitstreitern eine schlagkräftige Truppe zusammen bekommen, die ihn auf allen Wegen und Abwegen souverän begleitet und sowohl für einen strammen Rhythmus wie auch für eine kreative, sensible Untermalung sorgt. Egal was Elling anpackt, man darf stets Qualität auf hohem Niveau von ihm erwarten. Er ist eben eine Klasse für sich. Seine überlegene Präsenz beweist er auch auf "SuperBlue", wo sich der Sänger agil, engagiert, cool und clever darstellt. Mittelmäßigkeit und Stillstand haben bei Kurt Elling sowieso keine Chance!