Das "junge Gesicht" des Fado
Cristina Branco hat sich auf ihrem zehnten Album "Kronos" (2009) von Gedanken an und über die Zeit inspirieren lassen und sich damit einem facettenreichen, nahezu unerschöpflichen Thema angenommen, das unser aller Leben nicht nur tagtäglich begleitet, sondern es genau genommen sogar bestimmt. "In the end, everything is time or the lack of it", bringt sie ihre eigene Erfahrung mit der Zeit auf den Punkt. Vor diesem Hintergrund scheinen insbesondere die Gedanken an Vergehen, Vergänglichkeit, schicksalhafte Fügung und damit assoziierbare Empfindungen von Verlust, Leid, Trauer, (Welt-)Schmerz, Wehmut und Sehnsucht dem portugiesischen Fado und seiner in Moll gestimmten Gefühlslage, der Saudade, entgegenzukommen, wie sie heute noch in der allgemeinen Vorstellung präsent sind. Wer jetzt aber in Bezug auf die leitmotivisch das titelgebende Thema behandelnden Lieder und ihre Interpretin vorwiegend schwermütige, von "überwältigendem" Pathos getragene Gesänge und Klagelieder erwartet, wird kennenlernen, dass der Fado mehr als ein Gesicht hat, er durchaus mitunter auch "tänzerisch"-heiter sein kann. Dies umso mehr als Cristina Branco - wie etwa auch die bekannten Sängerinnen Mariza und Misia - zu der jüngeren Generation von Fado-Künstlerinnen gehört, die für eine der heutigen, modernen Zeit gemäße behutsame Erneuerung des alten, traditionellen Musikgenres steht. Auch sie haben einigen Anteil an dem Revival, das der Fado seit den 1990er Jahren erlebt. (Nach der "Nelkenrevolution" und dem Ende des alten Regimes, 1974, war er zunächst nicht mehr "angesagt".) Im letzten Jahr ist die ehemalige "Arme-Leute-Musik" sogar in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen worden. Cristina Branco selbst hat sich in ihrer Jugend erst mehr von Jazz, Bossa Nova, Blues und Rock angesprochen gefühlt, musikalische Prägungen, die später in die eigene Musik einfließen werden. Schließlich wurden Aufnahmen der großen (1999 verstorbenen) Fadista und "National-Ikone" Amália Rodrigues für sie zu einem Schlüsselerlebnis (ihr Großvater hatte ihr die Schallplatten zum 18. Geburtstag geschenkt.) Berührt von deren seelenvollem Gesang, hat sie den Fado für sich als Ausdrucksmöglichkeit entdeckt. Das Album "Kronos" vermittelt viel von Cristina Brancos eigener emotionaler Sensibilität, die sie in ihren Gesang und die Inhalte ihrer Musik legt. Dabei trägt eine Reihe renommierter zeitgenössischer portugiesischer Künstler zu der poetischen und auch musikalischen Qualität der Texte und Kompositionen bei. Eine weitere Referenz an Modernisierungstendenzen bedeutet die Erweiterung des Klangbildes durch Hinzunahme von Instrumenten wie Akkordeon, Violine und Klavier. Das alles verbindende Element aber sind Cristina Brancos anmutiger Interpretationsstil und ihre bezaubernde Stimme, die für die angenehm-temperierte Mischung aus Tiefsinn und Leichtigkeit sorgen, die dem Fado eine wachsende Zuhörerschaft auch außerhalb Portugals erschließt. (In dieser Hinsicht förderlich sind die instruktiven Liner Notes und die mehrsprachigen Übersetzungen der Liedtexte im Booklet.) Cristina Branco versteht es damit, die Tradition mit der Moderne zu verbinden und auf ihre Weise dem Fado neues Leben einzuhauchen. Und so geht es ihr letztlich, ja eigentlich - auch für den Fado -, darum, aus der reichen Vergangenheit schöpfend, das Heute zugleich zukunftweisend zu gestalten: "mix the past with the now in order to produce the future".