Ein erschütternder Roman um häusliche Gewalt, sehr einfühlsam erzählt
Fast dreißig Jahre war Anna nicht mehr hier, sie wollte auch nie mehr zurückkommen. Auch als sie die Nachricht erreicht, dass ihre Mutter gestorben ist, ist sie noch festentschlossen, nicht zur Beerdigung zu fahren. Annas Tochter Jule hat ihre Großmutter nie kennengelernt, es kamen lediglich nichtssagende Karten zu Festtagen, die Jule schnell zur Seite gelegt hat. Was ist damals passiert? Jule erreicht zumindest, dass sie und Anna zu dem Haus fahren, das an die Gemeinde verkauft werden soll. Die beiden Frauen sichten Papiere, legen für den Notar einige Sachen beiseite und kommen ins Gespräch.
Jasper, Jules Freund, hat sie gestoßen, er hat nach ihr getreten. Das wollte sie eigentlich für sich behalten, nur ein paar Tage Abstand halten. Japers Anrufe ignoriert sie, überlegt aber dennoch, mit ihm zu reden. „Es wird dabei aber nur ihm besser gehen“, meint ihre Mutter.
Häusliche Gewalt hat viele Gesichter, Kira Mohn erzählt davon. Von der zwölfjährigen Anna und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Maja. Der nahe Wald und der See sind ihre Rückzugsorte, ihre Feen wohnen hier, sie sehen die Bärin und ihre Jungen, es ist ihre Welt voller Glückseligkeit und Abenteuer.
Kira Mohn wechselt die Perspektiven, sie ist immer wieder im Gestern, erzählt von Karl Siegburg, Annas Vater und von ihrer Mutter Marjanna und den beiden Mädchen. Dabei wird zunehmend klar, dass sie alle unter Vaters Gewaltausbrüchen zu leiden hatten. Bestrafungen und Schläge waren an der Tagesordnung, und das nicht zu knapp. Anna und Maja flüchten sich in ihre Traumwelten, so ist dieses Martyrium zumindest kurzzeitig auszuhalten. Er war ein Psychopath, war jähzornig, war unberechenbar. Und die Mutter schweigt dazu, sie hat nicht die Kraft, ihn zu verlassen, auch sie bekommt seine Wut zu spüren.
„In diesem Haus war es nicht gut, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“ sagt Julias Mutter, als sie ein Fotoalbum hervorkramen und die Erinnerungen hochkommen. Sie öffnet sich ein Stück weit und je mehr sie von damals erzählt, desto eher versteht Julia ihr langjähriges Schweigen.
Der Roman ist nicht anklagend und doch klar und deutlich, die Kapitel sind mit prägnanten Sätzen überschrieben wie etwa „Du tust, was ich dir sage“ oder auch“ Denkst du etwa, mir macht das Spaß.“ Diese Aussagen werden noch sehr viel derber, sehr viel verletzender. Das Nachwort legt die Finger nochmal in die Wunde. Wer einmal schlägt, wird es in ähnlichen Situationen wieder tun. Hier geht es um Gewalt gegen Frauen. Häusliche Gewalt trifft vor allem sie, wenngleich gemäß den bekannten Zahlen auch 18 Prozent der Gewaltopfer Männer sind, die sich danach noch seltener als Frauen Hilfe suchen. „Würde mir das passieren – ich wäre sofort weg.“ Es beginnt schleichend, mir Worten, mit Vorwürfen, denen ein Rempler folgt, ein Hieb – und dann eine halbherzige Entschuldigung.
„Die Nacht der Bärin“ erschüttert, auch das Nichtgesagte, das zwischen den Zeilen Sichtbare, ist schlimm, zu schlimm, es geht an die Nieren. Es fesselt, es lässt einen nicht los, es wirkt nach, bleibt im Gedächtnis. Und das ist auch gut so. Ein wichtiges Buch, das jeder lesen sollte.