Ufer der Erinnerung
Chicago, 1897. Anna Nicholson wird in wenigen Monaten den Bankierssohn William Wilkinson heiraten, obwohl sie sich seit dem Kurzbesuch bei ihrer Großmutter Geesje in Holland/Michigan zu dem angehenden Pastor Derk hingezogen fühlt. Doch Annas Adoptivvater steckt in finanziellen Schwierigkeiten und die Hochzeit mit William ist der einzige Weg, die Nicholsons vor dem sicheren Ruin zu bewahren.
Anna möchte ihr Leben nach der Bibel ausrichten, doch das ist leichter gesagt als getan, denn zum einen lassen ihr die gesellschaftlichen Verpflichtungen und Aktivitäten kaum Zeit, sich mit Gottes Wort zu beschäftigen, und zum anderen lehnen sowohl ihre Adoptiveltern wie auch William Gespräche über geistliche Themen ab.
Der Aufenthalt in Michigan hat Annas Wunsch bestärkt, Licht in das Dunkel um ihre leiblichen Eltern zu bringen – eine Spurensuche, die der High-Society nicht verborgen bleibt und die Gerüchteküche zum Brodeln bringt…
Ein zweiter Handlungsstrang spielt in Michigan. Die 17-jährige Cornelia ist mit ihrem Großvater aus den Niederlanden ausgewandert und findet bei Geesje eine Bleibe. Cornelia hat Furchtbares erlebt und bräuchte dringend Hilfe, doch Geesje findet nur schwer Zugang zu dem Mädchen…
„Ufer der Erinnerung“ ist die Fortsetzung von „Töchter der Küste“ – obwohl ich den ersten Band nicht gelesen habe, konnte ich dem Geschehen bestens folgen und war schnell mit den Akteuren vertraut. Beide Handlungsstränge werden von der Autorin sehr mitreißend erzählt. Man fiebert mit Anna mit, ob sie mehr über ihre Wurzeln herausfindet; genauso leidet man mit Cornelia mit und hofft, dass sie Heilung finden wird.
Lynn Austin stellt ein wichtiges Thema in den Mittelpunkt ihrer Geschichte - es geht um Klatsch und Tratsch, um üble Nachrede, um das Verbreiten von Gerüchten bis hin zum Mobbing. Um zu verdeutlichen, welche zerstörerische Kraft in Gerüchten steckt, hat Lynn Austin das Thema auf vielfältige Weise in die Handlung eingebaut.
So darf Anna weder ihren Glauben ausleben, noch kann sie sich für ein soziales Projekt engagieren, weil befürchtet wird, dass es Gerede gibt und damit Williams Ansehen und Karriere schaden nehmen könnte.
Williams Ex-Freundin Clarice verbreitet Gerüchte, um sie als Instrument für ihren Racheplan zu nutzen.
Aus Angst vor Klatsch und Tratsch verbietet Großvater Marinus Cornelia, sich ihren Kummer von der Seele zu reden und nimmt dabei in Kauf, dass Cornelia ihre furchtbaren Erlebnisse nicht verarbeiten kann und ihren Lebenswillen verliert.
Annas Freundinnen lästern über eine Bekannte, deren Vater in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist und schließen sie aus der Gemeinschaft aus.
Am Ende sind es ihre innere Stärke und vor allen Dingen ihr gewachsener Glaube, die Anna trotz aller Unwegsamkeiten die richtigen Entscheidungen treffen und ihr Glück finden lassen.
„Ufer der Erinnerung“ hat mir sehr gut gefallen – eine Geschichte, die aufzeigt, dass man seinen eigenen Weg gehen und sich nicht von den Ansichten und dem Gerede anderer ausbremsen lassen sollte.