Gasparone - so gut wie nie zuvor
Eine „Gesamt“aufnahme von „Gasparone“ mit der Musik von Karl Millöcker war bisher nicht zu haben. Produktionen, die sich so nannten, boten gewöhnlich statt der Originalkomposition Millöckers eine Musik dar, die, um dem Geschmack einer mehrere Jahrzehnte späteren Zeit zu entsprechen, durch Bearbeitung meist stark verändert, wenn nicht gar verfälscht war. Als Beleg genüge der Hinweis auf den untergeschobenen Tenor- oder Baritonschlager von den „dunkelroten Rosen“, der sich ungeniert des Terzetts „Gehn wir in den Garten“ aus Millöckers „Der Vizeadmiral“ bedient. Auf solche Weise bearbeitet hat Millöckers „Gasparone“, ein bedeutendes und erfolgreiches Werk der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, weder das musikalische Können des Komponisten noch den ursprünglichen Charakter der klassische Wiener Operette länger zeigen können.
Die vor kurzem erschienene Neueinspielung, die dem Lehar Festival Bad Ischl zu verdanken ist, gibt dem Stück viel von seinem früheren Wesen zurück. Insbesondere hat sie das Verdienst, den Komponisten Millöcker wieder zum Vorschein zu bringen. Er verdient es. Lob, Dank und Anerkennung gebühren den Sängerinnen und Sängern, dem Chor und dem Orchester, dem Chorleiter und besonders dem Dirigenten. Der Erwerb dieser Einspielung kann daher jedem Operettenfreund empfohlen werden, schon weil nicht so bald eine bessere Fassung erscheinen dürfte.
Musikalisch besonders gut gelungen ist z. B. schon die Eingangsszene mit Benozzo und den Schmugglern, dann der Auftritt Nasonis und die dramatisch bewegte Szene des ersten Auftritts der Gräfin bis hin zu Erminios Romanze „O dass ich doch der Räuber wäre“. Der Reiz dieser Nummern wird sich dem Operettenfan wohl gleich beim ersten Hören erschließen, falls ihn nicht eine an den Operetten späterer Zeit orientierte Erwartungshaltung hindert, die Musik der klassischen Wiener Operette zu schätzen.
Das Libretto von Zell und Genee, so stellte dessen Herausgeber Anton Würz 1954 in der Einleitung fest, hat Vorzüge: „ ... das große Geschick, mit dem die beiden Autoren diese unterhaltsame sizilianische Gaunerkomödie angelegt und in drastisch-wirksamer, pointenreich lustiger Form entwickelt haben, (bleibt) ebenso anzuerkennen wie die einprägsame Charakterisierung des italienischen Milieus, die treffsichere Zeichnung der Hauptfiguren, die effektvolle Plazierung und Auswertung lustiger Situationen, der humorvolle Dialog und nicht zuletzt das flott vorwärtsdrängende Tempo des Spiels, das jedes Übermaß eines hemmenden Verweilens in lyrisch-sentimentalen Zonen ausschließt.“ Das hat man in Bad Ischl wohl auch so gesehen und einzig insoweit „modernisiert“, als man auf das Mafia-Milieu Bezug nimmt. Dieser verständliche Aktualisierungsversuch überzeugt den Rezensenten aber nicht, da aus der Änderung kein Gewinn resultiert.
Die Vorzüge des Librettos, so urteilte Würz, „kommen freilich erst durch die weit größeren der Musik recht zur Geltung.“ Und diese Auffassung teilt der Rezensent voll und ganz unter lebhaftem Bedauern, dass eine Einzelbehandlung der Musiknummern unterbleiben muss. Darum begrüßt er den Rückgriff auf das Original ausdrücklich, nimmt jedoch eben darum heftig Anstoß daran, dass in der Neueinspielung das Terzettino Carlotta-Nasoni-Zenobia (Nr. 4) ausgelassen ist und die zweite Strophe von Zenobias Couplet (Nr. 8) gestrichen wurde; ebenso bleibt ihm unerklärlich, was in aller Welt die Kürzungen in Benozzos Walzerlied Nr. 14 und im Finale I rechtfertigen könnte. Schade, dass die Freude an der Rückkehr zum Original durch solche Wermutstropfen beeinträchtigt wird!
In diesem Zusammenhang muss kritisch angemerkt werden, dass das Begleitheft jegliche Angabe zu den Musiknummern unterlässt. Nun wird man darin zwar keine bewusste Täuschung des Operettenpublikums sehen müssen, aber man fragt sich doch, ob es nicht als ein Mangel an Aufrichtigkeit und intellektueller Redlichkeit gegenüber dem Publikum zu beurteilen ist, ein musikalisches Kunstwerk ohne Hinweise auf vorgenommene Eingriffe zu präsentieren, wie es jetzt anscheinend bei cpo geschieht. Oder verlangt der Rezensent Unmögliches, wenn er fordert, dass Gesamtaufnahmen die Musik vollständig enthalten sollten? Wenigstens müsste das Begleitheft, wenn die Musik schon unvollständig ist, Aufschluss über Abweichungen von der Originalmusik geben.