Kempe-RING - nach London nun auch aus Bayreuth
Es gab ja bereits einen respektablen RING-Mitschnitt, den Rudolf Kempe 1957 in London dirigiert hat - in etwas anderer Besetzung zwar, aber immerhin ist die Lesart der RING-Partitur durch diesen Orchesterleiter bereits deutlich geworden - und damit auch die vielleicht überraschende Erkenntnis, dass die Unterschiede zu anderen Bayreuther RING-Dirigenten aus dieser Zeit nicht so erheblich sind wie man das gern heraushören möchte. Fragen der Rollenbesetzung kritisch zu hinterfragen ist immer ein schwieriges Unterfangen, wenn es sich um einen Live-RING-Zyklus handelt. Wenn zwischen dem 26. und dem 30. Juli 1961 allabendlich bis zu 4 Stunden hochdramatischer Musik dargeboten wurden, dann musste man eigentlich schon froh sein, dass man 14 Stunden Kontinuität beim Orchester und beim Dirigenten erwarten durfte. Diese Einheit der Besetzung auch von den Sängern zu verlangen, wäre dann wohl doch zu optimistisch gedacht gewesen... So muss man sich also von einem Tag zum anderen mit einigen Umbesetzungen arrangieren, einerseits sicherlich irritierend, andererseits aber auch die gesangliche Vielfalt vermehrend. Im RHEINGOLD glänzt Jerome Hines mit vorzüglicher Diktion als Wotan. Gerhard Stolze singt an diesem Abend nicht den Mime, sondern den Loge - als Mime ist Herold Kraus besetzt, sehr charakteristisch und mehr als rollendeckend. Regina Resnik, wie ihr Kollege Jerome Hines von der MET in New York kommend, orgelt eine wunderbar resolute Fricka, Otokar Kraus gefällt mir als Alberich, Marga Höffgen gibt eine bodenständige Erda und David Ward hat die nötige Bassschwärze für den Fasolt. Den ersten Akt der WALKÜRE eröffnen Fritz Uhl (unauffällig, aber solide wie immer), Regine Crespin (sehr schön in der Mittellage mit konzentriertem Ton, in der Höhe aber gespreizt und faserig) und Gottlob Frick (bassgewaltig wie gewohnt, aber mit störendem grässlich-schwäbelndem Dialekt). Jerome Hines ist gottlob als Wotan erhalten geblieben und liefert an diesem 2. RING-Abend sein Meisterstück ab - klar in der Diktion, präsent in der Gestaltung, mit mächtiger Stimme (wobei die innigen Momente leider etwas vernachlässigt werden). Dennoch: die Schlusspassage "Wer meines Speeres Spitze fürchtet..." habe ich noch nie so gewaltig, so niederschmetternd, so triumphal gehört. Auch Regina Resnik in der Rolle der Fricka begegnet man wieder - und das ist gut so! Astrid Varnay überzeugt mit ihrer wenig heroischen Version des Brünnhilden-Auftritts noch nicht, findet aber im Verlauf des Abends sowohl die auftrumpfenden als auch die subtilen Töne für die Partie und gestaltet den Charakter sehr intelligent. Ingeborg Felderer ist zu schmalstimmig für die Helmwige. Auch mit der Stimme des Waldvogels im SIEGFRIED hat sie einige Probleme. Jerome Hines ist leider abhanden gekommen und durch James Milligan ersetzt worden - nicht die schlechteste Wahl... Herold Kraus charakterisiert den Mime weiterhin ganz vorzüglich, und auch die Höffgen ist erhalten geblieben. Hans Hopf steigt als Siegfried neu in den RING ein und auch Birgit Nilsson als Brünnhilde - beide mit frischem Ton und jugendlich-schlanker Stimmführung, Hopf wirkt unbekümmert und unverkrampft, gerade richtig für den Siegfried, und auch die Nilsson hat noch nicht die statuarische Brillanz der späteren Jahre. In der GÖTTERDÄMMERUNG kämpft Hans Hopf mit stimmlichen Ermüdungserscheinungen, Thomas Stewart singt einen langweiligen Gunther (wie soll man den auch sonst singen?), Otokar Kraus ist nach wie vor solide als Alberich, Frick näselt sich jetzt durch die Partie des Hagen, gewaltig auftrumpfend und stimmlich beeindruckend, während die Nilsson erst jetzt zu ihrer imposanten Form findet - mit edler Stimme und einem überwältigenden Schlussgesang. Besonders hervorzuheben ist Grace Hoffmann, die neben der 2. Norn eine ganz herausragende Waltraute singt und deklamiert. Das einzigartige und musikalisch sehr vielschichtige Nachspiel hat Kempe leider teilweise verschenkt - da haben Keilberth und vor allem Knappertsbusch mehr daraus gemacht! Das Booklet ist reichlich bebildert und dreisprachig (dt., engl., franz.) betextet, es enthält allerdings nicht das Libretto. Abschließend noch eine Anmerkung zur Verpackung: die Firma ORFEO hat jede der 13 CDs aufwendig einzeln verpackt - in einen quadratischen Mini-Umschlag, der zu allem Überfluss auch noch mit einer selbstklebenden Folie verschlossen ist. Wie kann man auf eine so unpraktische Idee kommen? Insgesamt steht dieser RING-Zyklus für mich gleichrangig neben anderen Bayreuther Aufnahmen der 50-er und 60-er Jahre (Clemens Krauss, Keilberth, Knappertsbusch, Böhm...). Solide, aber nicht herausragend.