Zivilisatorischer Höhepunkt
Zunächst einmal: Diese aus Australien importierte Überspielung von Karajans berühmter 1962er Analogaufnahmen übertrifft von der Qualität her bei weitem die alte, aus meiner Perspektive verrauschte DG-Resonance-Ausgabe. Hier ist das Rauschen so gut wie verschwunden, das Klangbild ist ungeheuer präsent und realistisch, die Instrumente klar ortbar, das Klanggeschehen zerfällt trotzdem nicht: ein Zuckerli für die Ohren! - Diese australische CD hat einen weiteren Vorzug für denjenigen, der der englischen Sprache mächtig ist: einen einführenden Aufsatz, der sowohl musikwissenschaftlich als auch sprachlich der hohen Qualität der Aufnahme durchaus entspricht.
Die beiden hier eingespielten Symphonien, so unterschiedlich sie auch sind, gehören zu den absolut bekanntesten klassischen Stücke überhaupt. Beethovens Fünfte wird hier mächtig und martialisch zelebriert mit krachendem Blech, donnernder Perkussion und - zwischendurch - überaus zärtlichen Streichern und Holzbläsern. Dem Schicksal trotzend, schreitet Beethoven bzw. von Karajan pfeilgerade und vor Kraft und Zuversicht strotzend voran, fast heroischer als in der "Eroica". Das macht, zumal bei diesen exzellenten Musikern und einer Tontechnik, die nichts zu wünschen übrig lässt, mächtig Eindruck. Als einziger Zweifel bleibt: Hat Beethoven es wirklich so gewollt? Die britischen Originalklang-Experten (Christopher Hogwood, Roger Norrington, John Eliot Gardiner), denen ich allesamt ein gründliches Quellenstudium zutraue und die ein aus der Beethoven-Zeit stammendes Instrumentarium einsetzen, lesen die Partitur größtenteils mit ganz anderen, weicheren, noch schnelleren, weniger martialischen Ergebnissen, die mich fast noch eher überzeugen. Aber vielleicht sollte man den vor einigen Jahrzehnten angezettelten "Glaubenskrieg" um den Originalklang für beendet erklären und die Musikalität von Karajans und der Berliner als das genießen, was sie ist: ein kultureller, wenn auch zeitbedingter Höhepunkt unserer Zivilisation.
Bei der Sechsten sind die Unterschiede´zu den strengeren Vertretern der historischen Aufführungspraxis, wiewohl deutlich hörbar, nicht ganz so gravierend. Auch von Karajan erliegt hier dem Zauber des Poetischen und vermag auch mit mächtigem modernem Klangapparat entzückende, ländliche Stimmung und Töne zu erzeugen, die jeden ernsthaften Hörer, und sei er noch so puristisch eingestellt, begeistern und besänftigen können. Zahlreiche Augenblicke erschlossen sich mir beim Hören neu, obwohl ich meinte, diese Musik bereits gut zu kennen. Was von Karajan aus seinen Berliner Holzbläsern herauskitzelt, verdient höchste Achtung.