Die ersten beiden Alben im Doppelpack
Tim Buckley wurde von Haus aus durch Musik geprägt, denn seine Mutter war Frank Sinatra und Miles Davis Fan. Tim hörte in seiner Kindheit gerne Johnny Cash und Bill Monroe. Als er 13 war – seine Familie lebte inzwischen in Kalifornien – lernte er zunächst Banjo, später dann Gitarre. Schon damals trainierte er seine Stimme. Er hörte eine Trompete, die in hohen Tonlagen spielte und versuchte, diese Noten zu erreichen. Das gleiche übte er für die tiefen Töne am Beispiel eines Baritonsaxophons. Außerdem schrie und sang er gegen die Geräusche von Bussen an, was das Volumen und die Ausdruckskraft erhöhte. Neben der Musik faszinierte ihn auch Football. In der Highschool war er von 1962 bis 1964 Quarterback. Er trug dadurch Brüche in den Fingern der linken Hand davon, wodurch Finger verkrüppelten und er gezwungen war, sein Spiel auf eine individuelle Gitarrentechnik umzustellen. Trotz dieses Handicaps wurde die Musik fortan seine Hauptpassion. 1965, Tim war grade 18 Jahre alt, trennten sich seine Eltern und er heiratete seine ehemalige Highschool-Mitschülerin Mary Guibert. Sie ist die Mutter seines Sohnes Jeffrey Scott, der ein Jahr später geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren Tim und Mary aber schon wieder geschieden. Tim spielte damals abends in den Clubs rund um Los Angeles in der Band The Bohemians. Mit dabei waren seine Freunde Larry Beckett, der später viele Texte für ihn verfasste und Jim Fielder, der auch bei Buffalo Springfield Bass spielte und Gründungsmitglied von Blood, Sweat and Tears wurde. 1966 hörte ihn Jimmy Carl Black, der Schlagzeuger von Frank Zappas Mothers of Invention und vermittelte ihn an deren Manager Herb Cohen. Dieser knüpfte Kontakte zu Jac Holzman, dem Gründer von Elektra Records. Das Label war bis Mitte der sechziger Jahre hauptsächlich auf Folksänger spezialisiert. Holzman hatte aber ein Ohr für Genre sprengende Talente und gab Tim Buckley einen Plattenvertrag. Und fortan war er unter den gleichen Fittichen wie z.B. Phil Ochs, Tom Rush, David Ackles, Love und The Doors.
Sein Debut aus dem Winter des selben Jahres, schlicht Tim Buckley betitelt, zeigt schon seine spezifischen Fähigkeiten und Besonderheiten. Es ist komplexer arrangiert und instrumentiert als herkömmliche Folk-Alben. Die Songs haben variierende Tempi und eine facettenreiche Struktur. Tim singt im Gegensatz zu späteren Alben noch sehr diszipliniert, aber trotzdem leidenschaftlich und außergewöhnlich ausdrucksstark. Neben Beckett und Fielder stehen ihm weitere großartige Musiker zur Seite. Jack Nitzsche, musikalischer Tausendsassa, der später u.a. für die Rolling Stones und Neil Young tätig war, ist für die Streicher-Arrangements zuständig. Der Brian Wilson Partner Van Dyke Parks steuert geschmackvolle Piano- und Cembalo-Parts bei. Eine stilprägende Gitarre trägt Lee Underwood bei. Jazz-geschult setzt er atmosphärische Duftmarken: er spielt markant, vorwiegend in höheren Tonlagen, vermeidet aber aufdringliches Technik-Gefrickel. Schlagzeuger ist der versierte Billy Mundi, der u.a. bei Zappa, Fred Neil, Rhinozeros und später bei Dylan und John Martyn gespielt hat. Die Songs auf Tim Buckley sind wortreich und durchdacht, leicht psychedelisch (Song of the magician, Understand your man) oder mal mit Ausflügen zum Balkan ausgestattet (Strange street affair under blue), aber im Kern konventionell zwischen barockem Folk und Rock aufgebaut. Spätere Großtaten lässt z.B. Valentine Melody erahnen. Mit klarer Tenorstimme intoniert Tim den Song, so dass man kaum atmen mag, um ja nicht die kristallene Stimmung zu zerstören, die von dieser Ballade ausgeht. Oder Song slowly song, eine zarte, traumhafte, hingetropfte Komposition, über die Tims Stimme und Lees Gitarre schweben. Die Zeit scheint still zu stehen. Außerdem She is mit seiner majestätischen fesselnden Melodie. Im Booklet-Begleittext heißt es so schön: die Songs haben die Magie von japanischen Wasserfarben inne.
Auf seinem 2. Werk Goodbye and Hello von 1967 entwickelt Tim Buckley seinen Stil weiter. Die Songs werden länger (bis über 8 Minuten) und abenteuerlicher. Larry Beckett erinnert sich: Zu dieser Zeit verging kein Tag, an dem wir nicht Dylan hörten. Highway 61 revisited und Blonde on Blonde waren Inspiration und Ansporn zugleich. Neben Lee Underwood agieren auf dem Album noch die Gitarristen Brian Hartzler und John Forsha, Mitglied der Folk-Band The New Christy Minstrels. Jazz-Bassist Jimmy Bond unterstützt Jim Fiedler. Der Conga-Spieler und Percussionist Carter C.C. Collins sorgt neben Eddie Hoh (er spielte schon für die Monkees und mit Mike Bloomfield) am Schlagzeug für ein stabiles Grundgerüst. Dave Guard vom Kingston Trio an Kalimba und Tamburin sowie Don Randi (Akteur bei Pet Sounds von den Beach Boys) an den Tasten setzen instrumentale Feinheiten. Der Produzent Jerry Yester, Mitglied des Modern Folk Quartet und von Lovin`Spoonful, fügt weitere Klangtupfer an Orgel, Piano und Harmonium bei. Das liest sich erstmal nach überladenem Sound, ist es aber nicht. Die Akteure gehen mit viel Feingefühl zu Werke, so dass den Kompositionen genug Raum zum Atmen bleibt. Die Platte enthält 10 Musterbeispiele des Psychedelic-Folk: No man can find the war holt den Protestsong aus seiner muffigen Traditionalisten-Ecke, wie es schon Phil Ochs praktiziert hat. Dieser Track beginnt mit einer Atombombenexplosion, die am Ende noch mal rückwärts abgespielt wird, als Symbol für die Forderung der Beendigung des Wettrüstens. Der Carnival Song erzeugt mit Walzer-Rhythmus Kirmes-Athmosphäre und zeigt damit Parallelen zu The Benefit of Mr. Kite vom Sgt. Pepper-Album der Beatles. Ein Album, das Tim geliebt hat. Pleasant Street ist ein fesselnder, aufwühlender Anti-Drogen-Song voll von hingebungsvollem Gesang. Hallucinations trägt seinen Namen zu Recht: im Hintergrund sorgen gegen den Strich gebürstete Kalimba-, Gitarren- und Percussion-Sequencen für Störfeuer und erzeugen damit verwirrende Sounds. Angetrieben durch schnelle Akustik-Gitarren-Riffs und energetische Conga-Unterstützung wühlt sich Buckley durch I never asked to be your Mountain. In diesem Song versucht er die Trennung von seiner schwangeren Frau aufzuarbeiten. Er brauchte 21 Anläufe, um seine Ansprüche optimal umzusetzen, erst dann war die Aufnahme im Kasten. Once I was und Phantasmagoria in two sind zum Heulen schöne Balladen. Ein kleines barockes Zwischenspiel bietet Knight-Errant, bevor sich das über 8minütige gesellschaftskritische, hypnotische, epische Titelstück langsam in die Hirnwindungen frisst. Es reflektiert die Konflikte zwischen der Jugend und der etablierten Gesellschaft. Versöhnlich wird das Album mit dem zarten Morning glory beendet. Der engelsgleiche Hintergrundchor besteht hier nur aus den Stimmen von Tim und Jerry Jester, die im Multi-Tracking-Verfahren vervielfältigt wurden. Das Album kommt mit Hilfe massiver Promotion bis auf Platz 171 der U.S.-Billboard-Charts. Zumindest ein Achtungserfolg, der Tim aber ungeheure Insider-Reputation einbringt.