Grandiose Sängerin, grandioses Orchester
Jedes neue Aretha-Franklin-Album polarisiert, und eine (kleine) Flut unsachlicher Kommentare startet, vor allem in Deutschland, einem recht „soul-feindlichen“ Land, dessen Mehrheit mit expressivem Gesang offensichtlich wenig anfangen kann. Als langjähriger Fan dieser großartigen Sängerin geht es ein bisschen auf die Nerven, aber nur ein bisschen, denn die Queen of Soul ist immer noch die Königin, und keine andere Sängerin ist in Sicht, ihren Thron streitig zu machen. Basta.
Ich höre die Puristen schon aufschreien: Darf man diese einzigartige Stimme in einem Orchester ertränken? Darf man ihr geniales Klavierspiel heraus mischen? Darf man die originalen Background-Sängerinnen wie Cissy Houston oder Carolyn und Erma Franklin einfach so löschen? Darf man die Produktionen von Jerry Wexler, Tom Dowd und Arif Mardin tilgen, die jeder Kritik auf Ewigkeit erhaben sind?
Ja, man darf.
Denn die Originalversionen sind ja nicht verschwunden. Schon vor zwanzig Jahren gab es Remix-Versionen dieser Klassiker. Auch Columbia Records hat bereits in den Sechzigern einige Lieder völlig neu abgemischt, um sie dem viel erfolgreicheren Atlantic-Sound anzupassen. Die Columbia-Originale haben dies natürlich überlebt. Das neue Album ist daher keine Zerstörung, sondern eine Hommage. Vor 50 Jahren hat Aretha Franklin ihre Karriere bei Atlantic Records gestartet und Warner/Rhino wollte einen modernen Blick, einen frischen Sound ihrer berühmten Songs erreichen. Es ist erstaunlich, was digital heute alles möglich ist. Der Hörer hat den Eindruck, man habe die junge Aretha in eine Zeitmaschine gesetzt und 2017 in ein Studio geschickt. Diese alten Gesangsspuren klingen, als wären sie gestern aufgenommen worden und nicht vor 50 Jahren. Da es noch keine Multitracks gegeben hat, ist es ein kleines Rätsel, wie man das eigentlich aus alten Stereo- und Mono-Master-Tapes hinbekommt. Sowohl die Produzenten als auch die Mitglieder des Orchesters waren begeistert von diesen Liedern, und das hört man auch.
Let It Be und Natural Woman sind eine wunderschöne, musikalische Offenbarung. Think wird durch den furiosen Anfang in eine Art James-Bond-Song verwandelt, Respect wirkt dynamischer und dramatischer als jemals zuvor, Son of a Preacher Man orientiert sich mit den mitreißenden Bläsern am Dusty-Springfield-Original. Eigentlich sollte Aretha dieses Lied zuerst singen; einer ihrer vielen Fehler. Zum Glück hört man aber jetzt endlich Aretha in einer ultimativen Version.
Manches ist aber dann doch nicht so geglückt. Völlig daneben ist der plumpe Background-Gesang bei Angel, der sehr störend wirkt. Vergleicht man einige Lieder mit den Originalversionen, fällt auf, dass Aretha eine hervorragende Arrangeurin von Hintergrundgesängen ist; dies zieht sich bis in die neueren Aufnahmen ihrer langen Karriere (vgl. Love Pang, 1998, oder Put It Back Together Again, 2011). Es hätte einigen neuen Versionen gut getan, den neuen Backgroundgesang einfach wegzulassen: Weniger ist oft mehr! Den Liedern I Say A Little Prayer und Until You Come Back To Me nahm man leider alle Ecken und Kanten. Und You're All I Need To Get By erscheint recht sinnlos und bietet kaum Neues: Etwas fade und unmotiviert wird das Original-Arrangement einfach nachgespielt, nur eben ein Tick schlechter als das furiose Original.
Ansonsten ist die Auswahl ihres Atlantic-Werkes recht gut gelungen. Trotz einiger Ausrutscher ist es eine schöne Gelegenheit, diese Soul-Klassiker in neuer Soundqualität zu genießen. Besonders eindrucksvoll klingt die CD auf einer Surround-Anlage. Auf die Vinyl-Version habe ich verzichtet, da leider zwei Lieder fehlen. Bei einer Spielzeit von nur 51 Minuten hätte man eigentlich alle Lieder auf der Schallplatte unterbringen können. Schade, dass man nicht noch Spanish Harlem und A Change Is Gonna Come für dieses Projekt ausgewählt hat.
Schön ist das nostalgische Retro-Design des Covers. Das Booklet dagegen enttäuscht, außer den neuen und originalen Credits gibt es weder Fotos noch Liner Notes über die technischen Bearbeitungen.
Darüber zu lamentieren, dass Aretha leider nichts Neues mit dem Orchester aufgenommen hat, ist nachvollziehbar, aber ziemlich sinnlos, denn Ihre Majestät macht sowieso nur das, was sie will. Dafür gibt es dann doch hoffentlich Anfang 2018 das neue Franklin-Album mit Gästen wie Elton John, Lionel Richie und Stevie Wonder, das eigentlich schon im September 2017 erscheinen sollte.
Hoffentlich wird hierzulande dank dieser CD den jüngeren Generationen die legendäre Aretha Franklin etwas bekannter.