Wirklich schlecht ist eigentlich nur das Cover
Mir fällt es sehr schwer ein solches Album – kann man es überhaupt als Album bezeichnen? – zu bewerten. Für eine einigermaßen angemessene, objektive Bewertung steckt doch in dieser Musik zuviel Bandgeschichte und vor allem zuviel persönliche Bindung des Hörers zu dieser Band. Zwar begann meine Pink-Floyd-Geschichte, da ich doch eher zu den Jünglingen unter den Floyd-Jüngern gehöre, erst vor etwa 12 Jahren mit „Careful with that axe, Eugene“ – aber auch das kann prägen. Dennoch, ich will es versuchen, da mich The Endless River doch die letzten Tage zu sehr beschäftigt hat, denn eines Vorweg: Nein, bei aller Skepsis vorab, schlecht ist das wahrlich nicht!
Ich denke, man muss The Endless River unter den Bedingungen bewerten, unter denen es entstanden ist. Und das Album ist eben alles andere als ein herkömmliches Album mit von vornherein durchdachten Kompositionen – das schließt die Entstehung aus Schnipseln früherer Sessions aus. Daher in diesen 53 Minuten Pink Floyd nach besonderer Innovation, nach Kreativität und Virtuosität in den einzelnen Stücken zu suchen, wäre hier, meines Erachtens, unangemessen. Was hier stattdessen zählt, ist die Montage, die Anordnung der Schnipsel, die Überleitungen, kurzum die Komposition aus bereits vorhandenen Teilkompositionen. Und die scheint mir recht gelungen in Anbetracht dessen, was The Endless River sein möchte: ein Rückblick und Abschied.
Man hat sich bezüglich der Montage dazu entschieden, aus all dem Material vier zusammenhängende Songs zu basteln. Und die versuchen, ich finde das ist klar zu hören, in sich Spannung aufzubauen, seicht anzufangen, sich aufzubauen und wieder seicht ein Ende zu finden. Natürlich funktioniert das nicht so gut wie bei „Shine on you crazy diamond“ oder „Echoes“, wer hat denn auch solche Gewalten auf diesem Album erwartet? Aber immerhin hat man die Möglichkeiten, die blieben, gut genutzt. So ist es z.B. sehr gelungen, dass man die musikalische Idee von „Allons-Y“ zweimal aufgreift und dazwischen – das wohl schönste Andenken an Richard Wright – den Orgelchoral „Autumn '68“ schiebt. Es fügt sich wunderbar zusammen, lässt die Idee von „Allons-Y“ nicht langweilig werden und bildet im Zusammenhang mit den anderen Teilen des dritten Songs ein für mich logisches Zentrum. Auch der aus „Sum“, „Skins“, „Unsung“ und „Anisina“ bestehende zweite Teil des Albums wirkt im Zusammenhang sehr gut: Die an die späten 60er und frühen 70er erinnernden Titel „Sum“ und „Skins“ bauen Spannungen auf, „Unsung“, alleinstehend eher belanglos, leitet hier aber gekonnt auf die Auflösung wirklicher aller Dissonanzen, „Anisina“, hin. Zugegeben, „Anisina“ ist wirklich sehr kitschig und Kitsch hat man, so ich gelesen habe, auch gerne schon The Endless River vorgeworfen. Aber Kitsch muss ja nicht immer schlecht sein und an rechter Stelle eingesetzt schon gar nicht. Ist es nicht gerade die geheime Freude eines jeden Progfans, die kitschigen Passagen der Longtracks – und davon gibt es unzählige – zu genießen? Auch das The Endless River abschließende „Louder Than Words“ ist auf seine spezifische Division Bell-Art kitschig. Aber als Ende dieses Albums und, man darf es nicht vergessen, irgendwie auch als Ende einer Bandgeschichte, kann der Song sogar sehr gut gefallen. So scheint es mir gar so, als ob The Endless River analog zur musikalischen Laufbahn Pink Floyds, eine Entwicklung hin zum soliden und letztendlich gar nicht so schlechten Popsong nachvollziehen möchte – doch das ist vielleicht zuviel der Interpretation.
Natürlich kann man den alten Herrschaften vorwerfen, sie hätten aus diesen zahlreichen Fetzen von Ideen noch gute, in sich geschlossene Songs basteln können. Aber dazu hätte es vermutlich unzählige Gastmusiker gebraucht, die letztendlich nicht mehr viel vom Ursprung dieser Aufnahmen stehen gelassen hätten: Wirklich Pink Floyd wäre das wohl nicht mehr gewesen. Insofern ist es ehrlicher, ein Montagewerk zu produzieren und Pink Floyd Pink Floyd bleiben zu lassen. Aber musste man es dann groß als Album ankündigen und auf den Markt bringen? Ja, das ist eine gute und berechtigte Frage. Doch so wie es jetzt erschienen ist, als Mosaik einst halbfertiger b-Seiten, ist es doch besser als eine lieblose, vielleicht zum Vergessen verurteilte „Reste-CD“, als Bonus angehängt an irgendeine Box. Und für die Jünglinge unter den Floyd-Freunden, wie ich es einer bin, ist es doch jetzt ein schönes Erlebnis, die Veröffentlichung eines neuen Pink-Floyd-Albums mitzuerleben (und damit den väterlichen Jugendgeschichten, „ich habe es damals noch selbst miterlebt, als Atom Heart Mother erstmals in den Plattenläden stand“, etwas an Kraft zu nehmen).